Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 86
Durch die Verschmelzung kann der Fall eintreten, dass sich Forderungen und Verbindlichkeiten, welche die übertragende und übernehmende Körperschaft gegeneinander haben, in einer Person, der der übernehmenden Körperschaft, vereinigen („Konfusion”). Zivilrechtliche Folge dieser Vereinigung ist, dass die Forderungen und Verbindlichkeiten kraft Gesetzes erlöschen, da niemand eine Forderung gegen sich selbst haben kann. Danach sind die Forderungen und Verbindlichkeiten in der Bilanz der übernehmenden Körperschaft auszubuchen, gebildete Rückstellungen sind aufzulösen. Die steuerlichen Folgerungen dieser Vereinigung von Forderung und Verbindlichkeit sind in § 12 Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 6 Abs. 1, 2 geregelt.
Rz. 87
Steuerliche Auswirkungen kann das Erlöschen von Forderung und Verbindlichkeit infolge Konfusion nur haben, wenn Forderung und Verbindlichkeit mit unterschiedlichen Werten bilanziert waren. Soweit die bilanzierten Werte übereinstimmten, führt die Ausbuchung nur zu einer gewinnneutralen „Bilanzverkürzung”. Bei unterschiedlichen Werten kommt es durch die Ausbuchung in Höhe des Differenzbetrages zwischen Buchwert von Forderung und Verbindlichkeit zu einem Gewinn oder Verlust („Übernahmefolgegewinn”; vgl. Rz. 86). Übernahmefolgeverluste dürften wegen des Imparitätsgrundsatzes praktisch kaum vorkommen, da dies bedeuten würde, dass die Forderung höher bewertet war als die entsprechende Verbindlichkeit.
Gründe für die unterschiedliche Bewertung von Forderung und Verbindlichkeit können in der Wertberichtigung von Forderungen liegen oder in dem Ansatz von Rückstellungen, denen bei der anderen Körperschaft keine entsprechende Anspruchsaktivierung gegenüberstand. In diesen Fällen ist der Buchwert der auszubuchenden Verbindlichkeit (Rückstellung) höher als der Buchwert der ebenfalls auszubuchenden Forderung; es entsteht ein Gewinn.
Rz. 88
Der Übernahmefolgegewinn ist grundsätzlich voll steuerpflichtig. § 6 Abs. 1 räumt der übernehmenden Körperschaft allerdings die Möglichkeit ein, diesen Gewinn in eine steuerfreie Rücklage einzustellen. Die Regelung gilt auch, wenn zwei Körperschaften als übertragende Körperschaften auf eine Übernehmerin verschmolzen werden und die Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den beiden übertragenden Körperschaften bestanden; auch dann erlöschen bei der übernehmenden Körperschaft Forderungen und Verbindlichkeiten durch Konfusion und es tritt damit ein Übernahmefolgegewinn ein.
Die Rücklage wird in der Bilanz zum Schluss desjenigen Wirtschaftsjahres gebildet, in das der steuerliche Übertragungsstichtag fällt. Sie ist in den auf ihre Bildung folgenden drei Wirtschaftsjahren mit mindestens je einem Drittel gewinnerhöhend aufzulösen; eine höhere Auflösung ist zulässig. Der Auflösungsbetrag unterliegt der laufenden Besteuerung (Einzelheiten zur Behandlung des Übernahmefolgegewinns und der steuerfreien Rücklage vgl. § 6 Rz. 9ff.).
Rz. 89
Die Regelung über die Bildung einer steuerfreien Rücklage ist auch auf den Übernahmefolgegewinn aus der Auflösung von Rückstellungen anwendbar. Abs. 4 erwähnt zwar nur Verbindlichkeiten, nicht auch Rückstellungen, doch können steuerlich anzuerkennende Rückstellungen nur für (ungewisse) Verbindlichkeiten gebildet werden. Abs. 4 erfasst alle Verbindlichkeiten, nicht nur nach Grund und Höhe gewisse Verbindlichkeiten, also auch die Rückstellungen.
Soweit Aufwandsrückstellungen mit steuerlicher Wirkung gebildet worden waren, kann keine Konfusion eintreten. Da diesen Aufwandsrückstellungen keine Schuld zugrunde liegt, kann auch kein Gewinn durch Vereinigung von Schuld und Forderung erfolgen. Die Regelung ist auf Aufwandsrückstellungen der Sache nach daher nicht anwendbar.
Rz. 90
Die Steuervergünstigung aus § 6 i. V. m. § 12 Abs. 4 entfällt rückwirkend, wenn die übernehmende Körperschaft den auf sie übertragenen Betrieb innerhalb von 5 Jahren nach dem steuerlichen Übertragungszeitpunkt in eine Kapitalgesellschaft einbringt oder ohne triftigen Grund veräußert oder aufgibt (Einzelheiten vgl. Kommentierung zu § 26).