Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 15 Abs. 6 AStG gilt wegen des Vorrangs der Kapitalverkehrsfreiheit auch für Drittstaatenfälle (hier Schweizerische Familienstiftung). - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 32/22)
Leitsatz (redaktionell)
- § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AStG verstößt für Drittstaatenfälle (hier Schweizerische Familienstiftung) gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Der Kapitalverkehrsfreiheit wird jedoch durch eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 6 AStG auf Drittstaatenfälle hinreichend Rechnung getragen.
- Anfallsberechtigt im Sinne von § 15 AStG und somit Adressaten der Zurechnung der Einkünfte einer ausländischen Familienstiftung sind auch mangels rechtlich verfestigter Stellung nicht bezugsberechtigte Personen, denen nach der Satzung und den weiteren feststellbaren Umständen das Vermögen der ausländischen Stiftung bei deren Auflösung am Feststellungsstichtag zugeflossen wäre.
Streitjahr(e)
2012, 2013, 2014, 2015, 2016
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob in den jeweiligen Feststellungszeiträumen den Feststellungsbeteiligten die Einkünfte der X Familienstiftung (X-Stiftung) auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Außensteuergesetzes der für die Streitjahre geltenden Fassung (AStG) zuzurechnen sind und ob die Regelungen des § 15 Abs.1 Satz 1 AStG und § 15 Abs. 6 AStG mit dem Grundgesetz (GG) und mit Europarecht d.h. den Regelungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV - (Amtsblatt der Europäischen Union – Abl EU - 2008, Nr. C 115, 47), vereinbar sind. Ursprünglich beklagtes Finanzamt war das Finanzamt 1. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes i.V.m. § 17 der Verordnung über die Zuständigkeit der Hessischen Finanzämter ist die Zuständigkeit während des gerichtlichen Verfahrens jedoch auf das nunmehr beklagte Finanzamt 2 übergegangen (dazu auch Schreiben des Finanzamt 1 vom 02.06.2022, Bl. 568 f. der Finanzgerichtsakte -FG-Akte-).
Bei der X-Stiftung handelt es sich um eine Stiftung Schweizerischen Rechts. Nach Art. 10 der aktuellen Stiftungsstatuten liegt der Zweck der Stiftung in der Widmung eines Kapitals im Sinne von Art. 335 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB). Die streitgegenständliche Stiftung geht grundsätzlich auf die Frau A.A. (verstorben) zurück. Frau A.A. war Schweizer Staatsbürgerin und zuletzt in der Schweiz wohnhaft. Sie hatte testamentarisch angeordnet, eine Familienstiftung in der Schweiz, die Y Familienstiftung, zu gründen. Die Stiftung wurde durch die Testamentsvollstrecker gegründet.
Nach verschiedenen Statutenänderungen mit Entlassung diverser Familienstämme wurde der Kreis der potentiell Begünstigten im Jahre 1967 zunächst auf den Stamm
C.C.-A. begrenzt. Mit öffentlicher Urkunde wurde der Name der Stiftung in „X Familienstiftung” abgeändert. Nach einer zwischenzeitlichen Zuteilung des Vermögens im Jahre 1994 wurde der Kreis der Begünstigten erneut begrenzt und zwar auf den Stamm B.B.-D. Seitdem erfolgte die Widmung des Vermögens nach Art. 10 der Stiftungsstatuten daher zugunsten von:
- Frau C.C.-A.
- Frau D.D.-C.
- Frau B.B.-D. bzw. ihren Nachkommen.
Artikel 10 der Stiftungsstatuten enthält eine Regelung, wann Begünstigte der Stiftung Zuwendungen erhalten können:
„Die berechtigten Familienmitglieder können aus den Stiftungsmitteln Beiträge erhalten, und zwar an die Kosten der Ausbildung, eines Fachstudiums, für Studienaufenthalte in fremden Sprachgebieten, für Krankheits-, Unfall- und Kurkosten, für Ausstattung bei Heirat, für die Eröffnung eines Geschäftes, für die Gründung einer eigenen Existenz
oder zu ähnlichen Zwecken sowie im Falle einer persönlichen Notlage.”
Nach Artikel 11 der Stiftungsstatuten entscheidet der Stiftungsrat „nach freiem Ermessen” über die Verwendung des Stammkapitals und der Erträgnisse. Den Begünstigten stehen keine klagbaren Ansprüche an die Stiftung zu. Der Rechtsweg ist daher ausgeschlossen, solange wie den „Destinatären” ein Beschluss des Stiftungsrates über eine Zuwendung nicht schriftlich mitgeteilt worden ist.
Organ der X-Stiftung ist der Stiftungsrat. Er kann aus einem oder mehreren Mitgliedern bestehen und ergänzt sich selbst durch „Zuwahl”. Artikel 12 Abs. 2 der Stiftungsstatuten enthält eine Regelung über die Zusammensetzung des Stiftungsrates:
„Der Stiftungsrat darf sich nur aus Personen zusammensetzen, die entweder in der Schweiz oder in den Vereinigten Staaten von Amerika oder im Fürstentum Lichtenstein domiziliert sind oder die das Schweizer Bürgerrecht oder das Bürgerrecht des Fürstentums Lichtenstein besitzen.”
Nach Artikel 12 Abs. 6 der Stiftungsstatuten kann mit Mehrheitsbeschluss der „Destinatäre” ein Stiftungsrat bestellt werden, wenn die Stiftung aus irgendwelchen Gründen ohne Stiftungsrat wäre. Sofern kein Mehrheitsbeschluss zustande kommt, entscheidet der E, wobei Vorschläge der Begünstigten berücksichtigt werden (zu den...