Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistungen bzw des Sozialgeldes für minderjährige Kinder
Leitsatz (amtlich)
Sind § 20 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), in der Fassung von Artikel 1 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954, 2955) vereinbar mit dem Grundgesetz (GG) - insbesondere mit Artikel 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (Rechts- und Sozialstaatsprinzip)?
Nachgehend
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Artikel 100 Abs. 1des Grundgesetzes in Verbindung mit § 80 Abs. 1Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Frage zur Entscheidungvorgelegt, ob § 20 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 desZweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende(SGB II), in der Fassung von Artikel 1 Viertes Gesetz für moderneDienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I. S.2954, 2955), vereinbar sind mit dem Grundgesetz (GG) - insbesonderemit Artikel 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2GG sowie Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (Rechts- undSozialstaatsprinzip).
Gründe
A.
Streitig ist die Höhe der den Klägern bewilligten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2005.
Bis zum 31. Dezember 2004 hatte der im Jahr 1962 geborene Kläger zu 1. Arbeitslosenhilfe nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 555,- Euro in Höhe von 233,59 Euro/Woche im Anschluss an den bereits 1999 erschöpften Bezug von Arbeitslosengeld erhalten. Auf den Antrag der Kläger vom 27. Oktober 2004 hatte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 jeweils monatlich 825,- Euro bewilligt; der Bescheid weist dabei für den Kläger zu 1. und die im Jahr 1963 geborene Klägerin zu 2. jeweils die gesetzlichen Regelleistungen in Höhe von monatlich 311,- Euro und für die am 15. März 1994 geborene Klägerin zu 3. das Sozialgeld in Höhe von 207,- Euro/Monat aus. Weitere 150,- Euro entfielen auf die - unstreitigen - Kosten der Unterkunft. Kindergeld wurde in Höhe von 154,- Euro als Einkommen angerechnet.
Den am 3. Januar 2005 mit der Begründung eingelegten Widerspruch, die Regelleistungen reichten zur Sicherung ihres Existenzminimums nicht aus, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2005 unter Hinweis auf die Gesetzeslage zurück. Die daraufhin am 2. Mai 2005 beim Sozialgericht Kassel (SG) erhobene und auf einschlägige Beiträge in der Fachliteratur gestützte Klage wies das SG mit Urteil vom 7. August 2007 mit der Begründung ab, die den Klägern zuerkannten Regelleistungen seien nach dem Gesetz richtig berechnet. Es bestünden auch keine Bedenken bezüglich der Leistungshöhe für die Klägerin zu 3., für die das Sozialgeld nur 60 Prozent der maßgebenden Regelleistung betrage. Es werde zwar nicht verkannt, dass sich für Kinder zwischen dem 7. und 17. Lebensjahr gegenüber dem früheren Sozialhilferecht Verschlechterungen ergeben hätten, diese Entscheidung des Gesetzgebers sei aber noch vertretbar. Im Übrigen hat sich das SG die Begründung des Urteils des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 23. November 2006 (B 11b AS 1/06 R) zu Eigen gemacht. Auf die Entscheidung im Einzelnen wird Bezug genommen. Die Zustellung des Urteils erfolgte am 7. September 2007.
Die Kläger haben am 5. Oktober 2007 unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrags Berufung eingelegt und vorgetragen, dass der gewährte Zahlbetrag ihren existenzminimalen Bedarf nicht decke. Insbesondere hätten die sehr hohen Bedarfe der seinerzeit 11-jährigen Klägerin, die sehr rasch gewachsen sei, nur auf Kosten vielfältiger, teils sie stigmatisierender Einschränkungen der Eltern und auch nur ansatzweise gedeckt werden können. Der Zugang zu sportlichen, kulturellen und anderen Freizeitaktivitäten sei der Tochter, welche die …- Hauptschule in … besuche, wegen fehlender Geldmittel verschlossen gewesen. Dasselbe habe sogar auch für manche schulische Veranstaltungen sowie das Schulessen gegolten. Die Klägerin zu 3. habe zudem ihren besonderen Interessen für Fotografie und bildnerisches Gestalten nicht nachgehen können. Auch seien mit Kosten verbundene Familienausflüge nicht möglich gewesen. Die Regelungen der §§ 20, 28 SGB II seien verfassungswidrig, weil mit ihnen ein angemessenes familiäres - auch die besonderen Bildungs-, Freizeit- und Kulturbedürfnisse der Tochter einbeziehendes - Existenzminimum nicht gewährleistet werde.