Zusammenfassung
Die Entwicklung in der KI-Technologie hat in den letzten zwei Jahren zu bemerkenswerten technologischen Durchbrüchen und Anwendungen in verschiedenen Branchen geführt. Es ist daher absehbar, dass auch die Steuerberatungsbranche in naher Zukunft von substanziellen und disruptiven Veränderungen betroffen sein wird. Die Anwendung in der Steuerberatung steht allerdings vor der Herausforderung, dass die aktuellen Large Language Models wie ChatGPT noch unter sog. "Halluzinationen" leiden. Warum KI-Technologie die Steuerberatung für immer verändern wird und welche unternehmerischen Entscheidungen deshalb getroffen werden sollten, beleuchtet dieser Beitrag.
1 Einschätzung des Status von KI-Technologie und ihrer Bedeutung für die Steuerberatung
Die fortschreitende Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) hat in den Jahren 2022 und 2023 zu bemerkenswerten technologischen Durchbrüchen und Anwendungen in verschiedenen Branchen geführt. Zunächst waren es die Kreativbranchen, die mit der Erstellung von Bildern und marketingorientierten Texten an der Spitze des praktischen Einsatzes von KI im Geschäftsalltag standen. Vor allem große Unternehmen nutzen KI-Technologien bereits, um ihre Prozesse effizienter zu gestalten, z. B. im Bereich des Neukunden-Onboardings, der Erstellung von Social-Media-Inhalten oder der Kundenbetreuungsprozesse, um Ressourcen zu sparen und die Automatisierung im Unternehmen insgesamt voranzutreiben.
In Branchen wie Finanzdienstleistungen, Gesundheitswesen und Onlinehandel hat sich diese Technologie als Schlüsselfaktor für operative Effizienz, datengestützte Entscheidungsfindung und kundenorientierte Innovation etabliert. Insbesondere im Jahr 2023 konnte man eine deutliche Steigerung der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der Datenanalysefähigkeiten von KI-Systemen sehen, vor allem im Bereich der sog. Large Language Models. Dies macht sie zu einem unverzichtbaren Werkzeug für die Verarbeitung großer und komplexer Datensätze. Auch Softwareunternehmen nutzen die Fähigkeiten dieser Technologie im Bereich der Programmiersprachen, um Programmieraufgaben weitgehend automatisiert unterstützen zu können. So können Laien mithilfe von ChatGPT und anderen Large Language Models Software ohne Programmierkenntnisse selbst erstellen, Websites können durch Prompteingabe generiert werden.
In der Steuerberatungsbranche haben insbesondere die Big Four und andere große Player nicht nur in den letzten zwei Jahren erhebliche Summen in die Entwicklung von Digitalisierung und KI-Technologie investiert, PWC allein 2023 über 1 Mrd. EUR.
Im Jahr 2023 haben sehr viele Menschen ChatGPT als Textgenerierungstool ausprobiert und so dem generativen KI-Tool innerhalb von 2 Monaten nach dem Start zu einer weltweiten Nutzerzahl von 100 Mio. verholfen. Damit ist ChatGPT das am schnellsten wachsende Softwaretool in der Geschichte der Menschheit.
Die Anwendung in der Steuerberatung steht noch vor der Herausforderung, dass die aktuellen Large Language Models wie ChatGPT, Lama und andere noch unter sog. Halluzinationen leiden. D. h., die Ergebnisse sind zum Teil (5 – 30 %) vom Modell regelrecht erfunden und damit inhaltlich falsch, auch wenn sie sprachlich korrekt erscheinen. Für die Steuerberatung werden aber Lösungen benötigt, die nahezu 100 % Fehlerfreiheit erreichen.
Andererseits kann eine vollständige Digitalisierung und Automatisierung in der Steuerberatung bereits durch andere Technologien – wie die vollständige digitale Vernetzung von Daten und RPA (Robotic Process Automation) – erreicht werden. Die Technologie der Large Language Models kann darüber hinaus z. B. zur Generierung von Berichten, zur Beurteilung von Verträgen hinsichtlich ihrer rechtlichen und steuerlichen Auswirkungen oder auch zur Erstellung von Vertragsentwürfen und Entwürfen von Anschreiben oder E-Mails eingesetzt werden. Diese Entwicklung steht jedoch noch am Anfang und bedarf weiterer branchenspezifischer Forschung und Entwicklung. Darüber hinaus sind spezifische berufsrechtliche und allgemeine rechtliche Grundlagen für den Einsatz von KI und maschineller Software in der Steuerberatung zu entwickeln.
Aus Sicht einer kleinen oder mittleren Steuerkanzlei ist der Stand der KI-Technologie Anfang 2024 aus zwei Gründen noch nicht komplett überzeugend:
- 1. Es gibt noch keine 100 %-ig funktionierende Out-of-the-Box-Lösung, die Prozesse in der Steuerkanzlei automatisiert.
- 2. Es sind erhebliche Investitionen (Zeit, Manpower, Geld) notwendig, um die eigenen Kanzleiprozesse mit KI-Technologie effizienter und automatisierter zu gestalten. Insbesondere der Zeitaufwand, den jeder Einzelne in der Kanzlei investieren muss, um sich auf verschiedenen Ebenen mit der neuen Technologie und darauf aufbauend mit neuen eigenen Arbeitsweisen vertraut zu machen, ist nicht zu unterschätzen.
Darüber hinaus setzt der zukünftige Einsatz von KI-Technologie voraus, dass die Kanzlei ein Qualitätsmanagement- bzw. Prozessmanagementsystem eingeführt hat, d. h., dass die wesentlichen Arbeitsprozesse gemeinsam definiert und standardisiert sind, alle in der Kanzlei nach diesen Prozessen arbeiten ...