Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1285
Im Ermittlungsverfahren mit seinem Grundsatz der freien Gestaltung sind Verständigungen unter den vorbezeichneten Kautelen – ausgenommen die im Rahmen der Hauptverhandlung zu beachtenden Prozessmaximen – in noch weitergehendem Maße zulässig und im Sinne einer effektiven Verteidigung des Beschuldigten auch geboten. Grenzen sind in diesem Verfahrensstadium hauptsächlich durch das Legalitätsprinzip gezogen.
Unzulässig sind zudem Absprachen unter Verknüpfung mit verfahrensfremden Zwecken (s. Rz. 1300) oder Versprechen gesetzlich nicht vorgesehener Vergünstigungen.
Rz. 1286
Vorausgehend kann im Ermittlungsverfahren die StA und auch die BuStra, wenn sie das Verfahren gem. § 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO selbständig führt, gem. § 160b StPO mit dem Beschuldigten eine Erörterung des Verfahrensstands, also Gespräche zur Verfahrensförderung führen. Liegt die Verfahrensherrschaft bei der StA, ist die BuStra entsprechend einzubinden (§§ 403, 407 Abs. 1 AO).
Das Gleiche gilt bei Gesprächen im Zwischenverfahren nach § 202a StPO (s. Rz. 634).
Rz. 1286.1
Eine besondere Form ist für die Erörterungen nicht vorgeschrieben. Der wesentliche Inhalt des Gesprächs ist jedoch aktenkundig zu machen (§ 160b Satz 2 StPO).
Rz. 1286.2
In der Praxis geht die Initiative dazu oft von der Steufa aus. Eine bindende Absprache kann aber von der Steuerfahndung keinesfalls getroffen werden. Häufig erfolgt bereits im Besteuerungsverfahren eine tatsächliche Verständigung (s. dazu Rz. 1296 ff.).
Rz. 1286.3
Gegenstand der Erörterungen können Verfahrenserledigungen durch Einstellungen nach § 153a StPO oder Strafbefehl sein oder insb. auch der Vorbereitung einer Verständigung im Hauptverfahren dienen (§ 257c StPO, s. Rz. 1240 ff.); ebenso Beschränkungen oder Absehen von der Strafverfolgung nach § 154a Abs. 1, § 154 Abs. 1 StPO bei Ablegung eines Geständnisses bzgl. einer oder mehrerer bestimmter Straftaten. Auch zur Vorbereitung eines steuerlichen und strafrechtlichen Gesamtpakets (s. Rz. 1309 ff.) erfolgen Gespräche nach § 160b StPO.
Rz. 1286.4
Die StA bzw. die BuStra sind durch eine entsprechende Zusage nach § 160b StPO gebunden; ebenso das Gericht, wenn es sich die Zusagen zu eigen gemacht hat. Zu beachten ist dabei, dass die Kompetenz der BuStra mit Abgabe an die StA bzw. nach Einspruch gegen einen von ihr beantragten Strafbefehl endet. Hier sollte die Verteidigung frühzeitig darauf drängen, die StA und ggf. auch das Gericht in die Gespräche miteinzubeziehen.
Rz. 1287
Verständigungen finden vorrangig im Geltungsbereich des den Strafverfolgungsbehörden Ermessen einräumenden Opportunitätsprinzips (§§ 153 ff. StPO) statt. So bietet sich gerade im Steuerstrafverfahren mit seiner oftmals überlangen Verfahrensdauer eine Einstellung nach § 398 AO, gem. § 153 StPO wegen Geringfügigkeit bzw. nach § 153a StPO unter Geldauflagen oder die Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung mittels eines Strafbefehls im Hinblick auf eine bestimmten Geldstrafe an (s. dazu die Erl. zu § 400), vorausgesetzt, es liegen im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Erledigungsmöglichkeiten vor (zu § 153a StPO s. Rz. 565 ff.; zum Strafbefehl gem. § 407 StPO, § 400 AO s. § 400 Rz. 33 ff.). Ob es zu dem vereinbarten Abschluss des Steuerstrafverfahrens kommt, hängt im Falle der Einstellung nach § 153 Abs. 1, § 153a StPO und des Strafbefehls (§ 408 Abs. 3 Satz 1 StPO) allerdings von der Entscheidung des zuständigen Strafgerichts ab (§ 391 Abs. 1 Satz 2 AO).
Rz. 1288
Beteiligt sind daran – i.d.R. unter Ausschluss des Beschuldigten – der Verteidiger, der StA bzw. ein Sachgebietsleiter der BuStra (s. Rz. 1297.1) und (im Hauptverfahren) das Gericht. Die Initiative zu einer einvernehmlichen Beendigung des Verfahrens geht dabei häufig von der Steufa aus und wird wegen deren Doppelfunktionalität nach § 208 AO regelmäßig von dieser vorbereitet.
Rz. 1289
Auch im Ermittlungsverfahren muss das Ergebnis der Verständigung offengelegt und aktenkundig gemacht werden (s. Rz. 1257 ff.). Insbesondere in Fällen, in denen die Mitwirkung des Gerichts erforderlich ist (Erlass eines Strafbefehls, Erteilung der Zustimmung nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 StPO), kann sich der Richter auf diese Weise ein Bild von den stattgefundenen Vorgesprächen machen.
Rz. 1290
Neben einer isolierten Beendigung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist in geeigneten Fällen (insb. bei erschwerter Sachverhaltsermittlung, die im Steuerverfahren Schätzungs- bzw. Bewertungsspielräume, im Strafverfahren Beurteilungs- und Beweiswürdigungsspielräume zulässt) eine kooperative Gesamtbereinigung (s. Rz. 1309 ff.) in Erwägung zu ziehen, durch die sowohl das Steuerverfahren als auch das Steuerstrafverfahren zu einem einvernehmlichen Abschluss gebracht werden kann.
Rz. 1291– 1295
Einstweilen frei.