Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. soziale Auswahl. Altersgruppen
Leitsatz (amtlich)
Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur durch Altersgruppen bei der Sozialauswahl stellt eine Rechtfertigung einer möglichen Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG dar.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 08.11.2006; Aktenzeichen 7 Ca 13090/06) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. November 2006 – 7 Ca 13090/06 – wird auf seine Kosten bei einem Streitwert von 8.384,28 EUR in beiden Instanzen zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 23. Juni 2006, zugegangen am 27. Juni 2006, zum 31. Januar 2007, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und – eventualhilfsweise – die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Der am …1959 geborene ledige Kläger war seit dem 26. Juni 1986 bei der Beklagten beschäftigt und verdiente als Maschinenbediener in Lohngruppe 2,5 zuletzt durchschnittlich 2.540,69 EUR brutto im Monat.
Die Beklagte, Zulieferbetrieb für die Automobilindustrie, beschäftigte in ihrem Berliner Werk am 01. Januar 2006 453 Arbeitnehmer. Ein Auftragsrückgang ließ im gewerblichen Bereich 80 Stellen entfallen, was bei Berücksichtigung der natürlichen Fluktuation einen Personalabbau von 66 Mitarbeitern erforderlich machte.
Die Beklagte vereinbarte mit dem Betriebsrat am 12. Mai 2006 einen Interessenausgleich (vergl. dazu den Interessenausgleich in Kopie Bl. 12 – 14 d. A.), dessen Anlage 1 eine Personalbedarfsberechnung, bezogen auf den Arbeitsplatzwegfall des jeweiligen Bereichs und der entsprechenden Beschäftigungsgruppe, darunter unter anderem der Tätigkeitsgruppen Maschinenbediener und Montierer enthielt. Im Bereich der Maschinenbediener sollten 32 Arbeitsplätze entfallen. Als Anlage 2 war dem Interessenausgleich eine Namensliste (vergl. dazu die Namensliste in Kopie Bl. 16 – 17 d. A.) mit den Namen von insgesamt 66 von der Personalmaßnahme betroffenen Arbeitnehmern, davon 29 Maschinenbediener (Lohngruppen 2,5 oder 3) und 37 Montiererinnen/Montierern (vorwiegend Lohngruppe 2) beigefügt, auf der sich unter Nummer 10 auch der Name des Klägers befand.
In einer Anlage 3 zum Interessenausgleich vereinbarten die Betriebsparteien eine Unabkömmlichkeitsliste (vergl. dazu die Unabkömmlichkeitsliste in Kopie Bl. 18 d. A.) von 22 Arbeitnehmern, darunter unter anderem die Montierer I. S., M. Sch., L. B. und H. J. und die Maschinenbediener M. Chr. und N. S..
Bei unvorhersehbaren Austritten sollte nach Ziffer 4 Abs. 2 des Interessenausgleichs der Arbeitnehmer von der Namensliste genommen werden, der innerhalb der vergleichbaren Mitarbeiter und zugehörigen Bewertungsgruppe die höchste Bewertung hatte.
Ebenfalls am 12. Mai 2006 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Sozialplan, die Errichtung einer Transfergesellschaft und eine Sozialauswahlrichtlinie mit einem Punkteschema. Darin ist unter anderem bestimmt:
„– Pro Beschäftigungsjahr erhält der Arbeitnehmer 2 Punkte
- Für jedes Lebensjahr erhält der Arbeitnehmer 1 Punkt, maximal 50 Punkte
- Für jedes unterhaltsberechtigte Kind erhält der Arbeitnehmer 10 Punkte, für jede andere unterhaltsberechtigte Person 5 Punkte. Maßgebend ist der Lohnsteuereintrag vom Stichtag (Abschlussdatum), es sei denn, es werden bis zum 05. Mai 2006 durch entsprechende Unterlagen abweichende Verhältnisse nachgewiesen.
- Arbeitnehmer mit einem Schwerbehinderungsgrad von bzw. mehr als 50 % oder Gleichgestellte erhalten 10 Punkte”
(vergl. die Sozialauswahlrichtlinie in Kopie Bl. 27 d. A.).
Erhebliche Personalreduzierungen seit Anfang der neunziger Jahre begründeten einen Altersdurchschnitt in der Fertigung der Beklagten von 48,7 Jahren. Ca. 75 % der Belegschaft waren 41 Jahre und älter. Bei einem vorgefundenen Altersdurchschnitt sämtlicher Mitarbeiter in der Fertigung von 48,7 Jahren bzw. in der Beschäftigtengruppe der Maschinenbediener von 47,4 Jahren und einem Anteil von ca. 75 % der Arbeitnehmer mit einem Lebensalter von 41 Jahren und darüber hätte eine Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung anlässlich eines Personalabbaus in der vorgesehenen Größenordnung von 22 % der 300 gewerblichen Mitarbeiter in der Fertigung die Beklagte nahezu ihres gesamten Nachwuchses beraubt. Nach den Berechnungen der Beklagten hätte dies zu einer noch weitergehenden Überalterung der Mitarbeiterstruktur, nämlich zu einem Altersdurchschnitt von 50,5 Jahren geführt, den die Beklagte angesichts der schlechten Auftragslage nicht mehr durch Neueinstellungen hätte ausgleichen können. Bei der zur Erstellung der Namensliste in ständiger Rücksprache mit dem Betriebsrat entsprechend der Auswahlrichtlinie durchgeführte Sozialauswahl wurden deshalb zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur innerhalb der jeweiligen Beschäftigungsgruppen der Maschinenbediener und Montierer jeweils 5 Altersgruppe...