Rn. 303
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
Die "Betriebsaufspaltung" ist ein auf Richterrecht (s zB RFH RStBl 1945, 34; zur historischen Entwicklung der Rspr und deren Begründung ausführlich s Wacker, FR 2021, 544 zu III.) beruhendes "Rechtsinstitut" des Ertragsteuerrechts zur Abwehr einer Schmälerung des inländischen Steueraufkommens durch ESt- und GewSt-Vermeidung (so zB BFH v 29.03.2006, BStBl II 2006, 661 zu 3.i.: Verhinderung einer Besserstellung des aufgespaltenen Unternehmens gegenüber dem Einheitsunternehmen) mit Gewohnheitsrechtscharakter (so zuletzt BFH v 25.05.2011, I R 95/10, BStBl II 2014, 760 Rz 22; ebenso Beisse, FS Schmidt 1993, 455, 463; die gewohnheitsrechtliche Fundierung wurde vom I. Senat mit Urt BFH v 17.11.2020, BStBl II 2021, 484, aufgegeben zugunsten "originär gewerblicher Einkünfte" des Besitzunternehmens). Ablehnend zum Begriff "Rechtsinstitut" Felix, StB 1997, 145, 152:
Zitat
"Die … Lehre von Heinrich Beisse, die Betriebsaufspaltung stehe in der Weihe eines Rechtsinstituts, ist nicht begründbar. Sie sollte zu den Akten fiskalischer Kurzsichtigkeit gelegt werden".
Im gleichen Sinne schreibt Messner, StuW 1988, 223, 237, das Wort "Rechtsinstitut" in Anführungszeichen.
In Vollzug seines Paradigmenwechsels begründet nun auch der I. Senat des BFH das "Rechtsinstitut" der gewerblichen Betriebsaufspaltung – wie schon zuvor lapidar der IV. Senat im Urt BFH v 08.09.2011, BStBl II 2012, 136 Rz 18 – mit Urt BFH v 17.11.2020, aaO, Rz 72, weg von der ursprünglichen Intention der Missbrauchsvermeidung, mit der "originär gewerblichen Tätigkeit des Besitzunternehmens" als Tatbestandsvoraussetzung und Rechtsgrundlage gem § 15 Abs 1 S 1 Nr 1, Abs 2 EStG (früher § 1 Abs 1 GewStDV) bzw, bei einer gemeinnützigen vermögensverwaltenden Stiftung, mit dem Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gem § 14 S 1 AO (mwN). Die originär gewerbliche Tätigkeit der Besitzgesellschaft war nach Ansicht des I. Senats (s BFH v 17.07.1991, BStBl II 1992, 246) bisher nicht Bestandteil der Tätigkeit des Besitzunternehmens, sondern sollte diesem in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nur die Eigenschaft des Gewerbebetriebs verleihen. Seit dem Beschluss des GrS des BFH v 08.11.1971, BStBl II 1972, 63 wird die Betriebsaufspaltung damit gerechtfertigt, dass das isoliert betrachtet vermögensverwaltende Besitzunternehmen deshalb ein Gewerbebetrieb sei, weil der einheitliche geschäftliche Betätigungswille (Beherrschungsidentität) der hinter beiden Unternehmen stehenden Person oder Personengruppe auf die Ausübung eines Gewerbebetriebs gerichtet sei (sog personelle Verflechtung: s Rn 320ff) und dieser Wille im Besitzunternehmen durch die Verpachtung einer wesentlichen Betriebsgrundlage an das Betriebsunternehmen (sog sachliche Verflechtung: s Rn 339) verwirklicht werde (ua BFH BStBl II 1983, 136; 1982, 662; 1981, 39; 1970, 439).
Das BFH-Urt v 17.11.2020, aaO, ist nicht nach Anfrage beim X. Senat ergangen und muss deshalb lt Wacker, FR 2021, 505, in der Tradition des Beschlusses des GrS des BFH v 08.11.1971, BStBl II 1972, 63 sowie der gesamten Folge-Rspr des BFH gelesen werden.
Der einheitliche geschäftliche Betätigungswille hebt somit nach der neuen Auffassung des I. Senats die Vermietungstätigkeit des Besitzunternehmens von einer üblichen Vermietung mit der Folge ab, dass nunmehr die Tätigkeit des Besitzunternehmens originär als gewerbliche Tätigkeit einzuordnen ist.
Wacker kritisiert, dass die originäre Gewerblichkeit des Besitzunternehmens nicht in der Verklammerung beider Unternehmen und damit in der Durchbrechung der kst-rechtlichen Trennungsprinzips liege, sondern in der Gesamtschau der Einzelumstände des Beteiligungsbesitzes (Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz 800 (43. Aufl 2024) mit Verweis auf seinen Aufsatz in FR 2021, 505). Nach einer Änderung der BFH-Rspr ist nunmehr aber das Trennungsprinzip durchlöchert, indem auch die nur mittelbare Beherrschung einer Besitz-PersGes durch die maßgebliche Personengruppe mittels einer vorgeschalteten KapGes ausreichend für eine Betriebsaufspaltung ist, ohne dass die KapGes eine Abschirmwirkung entfaltet: BFH v 16.09.2021, IV R 7/18, BStBl II 2022, 767 (s Rn 320h).
Besitzunternehmen und Betriebsgesellschaft bleiben trotz des einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens aber zwei steuerrechtlich getrennte Unternehmen. Schon BFH v 19.03.2002, BStBl II 2002, 662 führt zu B.1. der Begründung wörtlich aus:
Zitat
"Diese Verflechtung hat weder eine rechtliche noch eine wirtschaftliche Einheit der beiden Unternehmen zur Folge noch führt sie dazu, dass die Tätigkeit des Betriebsunternehmens dem Besitzunternehmen zuzurechnen ist; beide Unternehmen bleiben nach Zivilrecht und Steuerrecht selbstständige Unternehmen und unterliegen einer eigenen steuerrechtlichen Beurteilung."
Die zur Unterscheidung des Gewerbebetriebs von der Vermögensverwaltung außerdem erforderliche Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (s Rn 117, 130) wird nach Ansicht des BFH (s BFH v 08.09.2011, BStBl II 2012, 136 Rz 18)...