Rn. 412
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit werden als Gewinn erfasst (vgl § 2 Abs 2 Nr 1 EStG). Da die Gewinnermittlung nach § 5 EStG ausschließlich bei gewerblichen Einkünften anzuwenden ist, kommt für die Gewinnermittlung nur der Vermögensvergleich nach § 4 Abs 1 EStG oder die vereinfachte Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG in Betracht (BFH BStBl II 1994, 852; zur Verfassungsmäßigkeit vgl BVerfGE 1984, 348).
Rn. 413
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Von der Entstehungsgeschichte und der Systematik des EStG her soll an sich § 4 Abs 1 EStG den Regelfall der Gewinnermittlung darstellen. Es besteht aber kein Über- und Unterordnungsverhältnis; beide Arten stehen gleichwertig nebeneinander (BFH BStBl II 2009, 659; BFH/NV 1999, 1195). Tatsächlich ist die Überschussrechnung die überwiegende Gewinnermittlungsart selbstständig Berufstätiger (Brandt in H/H/R, § 18 EStG Rz 29 (Februar 2020); Fitsch in Lademann, § 18 EStG Rz 191). Die Gründe liegen auf der Hand: von Vorteil sind
- Kosteneinsparungen durch geringe formelle Anforderungen (BFH BStBl II 1973, 480),
- Ersparung von Bewertungsvorgängen,
- Möglichkeit der legalen Verschiebung von gewinnwirksamen Zuflüssen und Abflüssen (Drüen, DStR 1999, 1589; Pickert, DB 1994, 1581),
ohne dass dies als Gestaltungsmissbrauch anzusehen wäre (BFH BStBl II 1991, 13; Seer, DStR 1987, 603).
Als Nachteil kann wirken, dass
- erhaltene Vorschüsse als BE zu erfassen sind (dazu BFH BStBl II 1990, 287; 1982, 593; BFH/NV 1986, 665),
- weder Rückstellungen, zB für Schadensersatzverpflichtungen, gebildet
- noch Teilwertabschreibungen (mit entsprechenden Zinsnachteilen) vorgenommen werden dürfen und
- BA erst im Zeitpunkt ihrer Leistung abzugsfähig sind.
Der Periodengewinn wird also nicht nach dem Realisationsprinzip geglättet (Segebrecht, Die Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs 3 EStG, 12. Aufl 2009 Rz 75). Nach Wotschofsky, DB 1999, 1615, 1617 ist die Option zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG bei Freiberuflern von "pathologischen Ausnahmen" abgesehen nicht vorteilhaft; aA Weber-Grellet, DStR 1998, 1343, 1349, wonach die Rspr die Überschussrechnung unter Berufung auf den Grundsatz des gleichen Gesamtgewinns dem BV-Vergleich angenähert hat. Zur neuerdings anerkannten Zulässigkeit von gewillkürtem BV s Rn 440ff.
Rn. 414
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Freiberufler haben ein prinzipielles Wahlrecht zwischen den beiden Gewinnermittlungsarten (BFH BStBl II 1981, 301), das aber eingeschränkt sein kann durch die Ausübung auch in dem vorhergehenden Wj (BFH BStBl II 2001, 102). Das Wahlrecht ist auch in zeitlicher Hinsicht prinzipiell unbefristet, jedoch formell begrenzt durch die Bestandskraft eines (endgültigen) ESt- bzw Feststellungsbescheids für das betreffende Wj (BFH BStBl II 2006, 509; 2009, 569). Zur Bindungswirkung der Wahl s Rn 416; zum Wechsel s Rn 418.
Rn. 415
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Die Ausübung des Wahlrechts für den Bestandsvergleich nach § 4 Abs 1 EStG geschieht nach Erstellung einer Eröffnungsbilanz und Einrichtung einer Buchführung zu Beginn des Gewinnermittlungszeitraums (endgültig) erst mit der Erstellung des Abschlusses; erst mit diesem entfällt das Wahlrecht (BFH BStBl II 2001, 102; 2006, 509; 2009, 659; 2016, 468; 2017, 154; BFH/NV 2004, 633; 2006, 1457). Zudem stellt der BFH von alters her strenge Anforderungen an die Annahme, dass eine Buchführung mit Abschluss und keine Einnahme-Ausgabe-Aufzeichnungen vorliegen. Nicht jedes über die Einnahme-Ausgabe-Aufzeichnungen hinausgehende "Mehr" genügt für die Annahme der Wahl des Bestandsvergleichs (BFH BStBl III 1967, 288). Maßgeblich ist daher die tatsächliche Handhabung nach Ablauf des Gewinnermittlungszeitraums.
Erfolgt dagegen im Wesentlichen nur die Aufzeichnung der BE und der BA, so übt der StPfl aufgrund dieser tatsächlichen Handhabung sein Wahlrecht iS einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG aus (BFH BStBl II 1978, 431; 1982, 593; 1983, 723; 1990, 287; ferner BFH BFH/NV 1986, 158; 1987, 504; 1995, 587; 1999, 1195). Das gilt insb, wenn er nicht zeitnah eine Eröffnungsbilanz aufgestellt hat (BFH BStBl II 2006, 509; 2009, 238). An die Wahl der Einnahme-Überschussrechnung sind keine hohen Anforderungen zu stellen; die einfache Sammlung von Belegen genügt (BFH BStBl II 1999, 481; 2009, 659). Auch kann die buchmäßige Erfassung von Kundenforderungen über ein Offene-Posten-Programm unschädlich in eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG integriert werden. Es ist auch unschädlich, wenn das AV iRd Überschussrechnung buchmäßig fortentwickelt wird (vgl Knief/Böttges-Minten, DStR 1981, 579, 581).
Fehlt es an allem oder fehlt dem StPfl überhaupt der Wille zur Gewinnermittlung, dann soll nach der Rspr keine Wahl getroffen werden sein (BFH BStBl II 1989, 714; 1990, 237; 2009, 659; BFH/NV 1995, 587). ME ist diese Schlussfolgerung schon deswegen nicht überzeugend, weil die Wahl des Bestandsvergleichs – wie ausgeführt – eine zeitnahe Eröffnungsbilanz voraussetzt und die Ausübung der Wahl nicht von der Kenntnis der steuerlich...