Rn. 240
Stand: EL 176 – ET: 10/2024
Als weiteres Erfordernis muss das Kind aus dem natürlichen oder rechtlich begründeten Obhuts- und Pflegeverhältnis zu seinen leiblichen oder rechtlichen (Adoptiv-)Eltern ausgeschieden sein, vgl H 32.2 EStH 2022 "Fehlendes Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern"; A 11.4 S 1ff DA-KG 2024. Dadurch soll eine Doppelberücksichtigung des Kindes ausgeschlossen werden, BT-Drs 10/2884, 102.
Ohne Lösung der Verbindung zu den bisherigen Bezugspersonen (leibliche oder rechtliche Eltern) kann nicht gleichzeitig ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Band zwischen dem Kind und anderen Personen bestehen. Diese Personen können dann lediglich Funktionen des Onkels, der Tante, der Großeltern oder älterer Geschwister ausfüllen. Die Obhut und Pflege gegenüber dem Kind von Seiten der leiblichen Eltern muss also dermaßen zurücktreten, dass sie im Wesentlichen nur noch von den Pflegeeltern ausgeübt wird.
Die Pflegeeltern müssen für das Kind als Ersatzeltern gleichsam an die Stelle der leiblichen Eltern treten. Das ist dann nicht der Fall, wenn das Stiefkind in einem gemeinsamen Haushalt mit dem leiblichen Elternteil lebt, BFH v 09.03.1989, VI R 94/88, BStBl II 1989, 680; BFH v 19.04.2007, III R 85/03, BFH/NV 2007, 1855.
Rn. 241
Stand: EL 176 – ET: 10/2024
Es handelt sich dabei um eine Prognoseentscheidung, wobei im Zeitpunkt der Entscheidung zu bewerten ist, ob das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den abstammungsrechtlich zugeordneten Eltern besteht, Da es hierbei nicht auf die Vorstellung der Eltern ankommen kann, sondern allein auf die im Einzelfall kaum feststellbare Sicht des Kindes abzuheben ist, hat BFH v 12.06.1991, III R 108/89, BStBl II 1992, 20; BFH v 20.01.1995, III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH v 07.09.1995, III R 95/93, BStBl II 1996, 63; als entscheidende Kriterien für die vorzunehmende Abgrenzung das Alter des Kindes, die Anzahl und Dauer der Besuche der leiblichen Eltern bei dem Kind sowie die Frage angesehen, ob und inwieweit vor der Trennung bereits ein Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern bestanden hat, vgl H.32.2 EStH 2022 "Fehlendes Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern"; A 11.4 Abs 1 DA-KG 2024. Maßgebend sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, BFH v 31.03.2000, VI B 207/99, BFH/NV 2000, 1094.
Der Entzug des Sorgerechts kann ein Indiz für das Nichtbestehen eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses sein, vgl Droege in K/S/M, § 32 EStG Rz B 15 (04/2021).
Ist das Kind im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme fast volljährig und hält es weiterhin telefonischen und sporadischen Besuchskontakt zu einem leiblichen Elternteil, kann es aus dem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern ausgeschieden sein, FG Niedersachsen v 11.06.2013, 13 K 30/13, EFG 2013, 1859.
Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kann das fehlende Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern unterstellt werden, H 32.2 EStH 2022 "Fehlendes Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern"; A 11.4 Abs 3 S 1 DA-KG 2024.
Rn. 242
Stand: EL 176 – ET: 10/2024
In Anwendung dieser Kriterien kann ein Pflegekindschaftsverhältnis zu den Großeltern nicht anerkannt werden, wenn das Kind mit seiner Mutter in deren Haushalt lebt und von diesen gepflegt und unterhalten wird, während die Mutter durch eine Schul- oder Berufsausbildung in der Obhut und Pflege des Kindes beeinträchtigt ist, denn deren regelmäßige Anwesenheit gewährleistet die Begründung und den Fortbestand der Mutter-Kind-Beziehung, solange der Mutter eine Betreuung ihres Kindes nicht völlig unmöglich ist, zB wegen eigener Pflegebedürftigkeit.
Soweit FG Niedersachsen v 03.07.2003, 10 K 488/01, EFG 2003, 1629 die Auffassung vertritt, ein Pflegekindverhältnis sei dann anzunehmen, wenn die Mutter mit ihrem Kind im Haushalt einer dritten Person lebt und der Mutter kein Anspruch auf Kindergeld zusteht, ist dem nicht zuzustimmen. Zwar ist in diesem Fall eine Doppelberücksichtigung des Kindes nicht möglich, ein Ausscheiden aus dem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern ist jedoch auch dann erforderlich, wenn letzteren kein Anspruch auf Kindergeld zusteht, BFH v 05.10.2004, VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524. Es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zu Fällen, in denen eine alleinstehende, berufstätige Mutter ihr Kind tagsüber fremden Menschen zur Betreuung überlassen muss, BFH v 09.03.1989, VI R 94/88, BStBl II 1989, 680; BFH v 22.02.1991, VI R 87/88, BFH/NV 1992, 90; BFH v 12.06.1991, III R 106/89, BFH/NV 1992, 164.
Auch die vorübergehende Abwesenheit der auswärts studierenden Mutter, die ihr Kind als Wochenendpendlerin regelmäßig sieht, vermag die im Kleinkindalter begründete Mutter-Kind-Beziehung nicht zu beenden, FG BdW v 23.07.1992, 12 K 108/90, EFG 1993, 32.
Rn. 243
Stand: EL 176 – ET: 10/2024
Dabei steht der Annahme, zwischen dem Kind und seiner Mutter sei es zur Begründung eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses gekommen, grundsätzlich nicht entgegen, dass die Mutter ihrerseits noch minderjährig und finanziell von de...