Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 170f
Stand: EL 142 – ET: 04/2020
Die Möglichkeit, ein unbewegliches WG zu veräußern oder zu belasten, ist wesentlicher Ausdruck der Sachherrschaft über ein unbewegliches WG. Insb im Wege der Veräußerung können dessen Substanz nutzbar gemacht und Wertsteigerungen realisiert werden. Wirtschaftliches Eigentum setzt gleichwohl nicht voraus, dass der nutzungsberechtigte potenzielle wirtschaftliche Eigentümer das unbewegliche WG selbst belasten oder veräußern kann (BFH v 18.11.1970, I 133/64, BStBl II 1971, 133; BFH v 14.11.1974, IV R 3/70, BStBl II 1975, 281; BFH v 27.11.1996, X R 92/92, BStBl II 1998, 97; FG Münster v 11.11.2010, 11 K 4309/07 F, BB 2011, 214). Die personelle Zurechnung unbeweglicher WG zu einem Nichteigentümer ist folglich nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Eigentümer die rechtliche Verfügungsbefugnis behält (BFH v 18.07.2001, X R 15/01, BStBl II 2002, 278; BFH v 18.09.2003, X R 21/01, BFH/NV 2004, 306). § 39 Abs 2 Nr 1 AO adressiert gerade eine Zurechnung abweichend vom zivilrechtlichen Eigentum; die fehlende freie bürgerlich-rechtliche Übertragbarkeit durch den potenziellen wirtschaftlichen Eigentümer ist Folge mangelnden, für die Beurteilung indessen zurücktretenden zivilrechtlichen Eigentums (BFH v 27.11.1996, X R 92/92, BStBl II 1998, 97). Die Annahme wirtschaftlichen Eigentums im Vorstadium des zivilrechtlichen Eigentumserwerbs an Grundstücken setzt im Hinblick auf die aperiodische Ausprägung des Nutzungskriteriums (nur) voraus, dass der Erwerber in der Lage ist, den zivilrechtlichen Eigentümer von der Einwirkung auf das WG auszuschließen, dh ihn ua an der Veräußerung und Belastung des Grundstücks – und damit auch an einer Realisation stiller Reserven – zu hindern (vgl auch FG RP v 11.09.2001, 2 K 2934/00, nv). Von einer Verwertungs-/Belastungsbeschränkung des zivilrechtlichen Eigentümers ist jedenfalls auszugehen, wenn dieser aufgrund einer eingetragenen Auflassungsvormerkung einer faktischen Verfügungsbeschränkung unterworfen ist (BFH v 29.10.1985, IX R 23/85, BFH/NV 1986, 404; BFH v 16.05.2002, IV R 19/00, BStBl II 2002, 693). Vertraglich vereinbarte Verfügungs- und Belastungssperren führen gleichermaßen zum Substanzausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers.
Zur Gewichtung des Kriterium s Rn 170m.
Ist die Verfügung über das (rechtliche) Eigentum in einzelnen Beziehungen beschränkt (wie zB durch eine Testamentsvollstreckung oder eine Vorerbschaft), führt dies nicht bereits zur personellen Trennung von rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum (vgl BFH v 25.10.1951, III 225/51 U, BStBl III 1951, 229; BFH v 26.03.1987, IV R 20/84, BStBl II 1987, 561; BFH v 04.02.1998, XI R 35/97, BStBl II 1998, 542; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 39 AO Rz 86 (Februar 2018)).
Rechtliches und wirtschaftliches Eigentum fallen ebenfalls nicht bereits auseinander, wenn ein Nichteigentümer am Erlös aus der Veräußerung des WG beteiligt ist oder wenn die Verfügung über das Eigentum in einzelnen Beziehungen beschränkt ist, Besitz, Nutzung, Gefahr und Lasten aber im Übrigen beim zivilrechtlichen Eigentümer liegen (BFH v 04.02.1998, XI R 35/97, BStBl II 1998, 542 mwN). Die Rspr lehnt einen – ohne Übergang von Besitz, laufender Nutzung, Gefahr, Lasten – lediglich auf Verfügungsbeschränkungen des zivilrechtlichen Eigentümers bzw weitergehend (auch vollständiger) Partizipation eines Nichteigentümers am Erlös aus der Veräußerung von Grundbesitz gestützten Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf einen Nichteigentümer demgemäß zutreffend ab. Hierdurch wird tatsächliche Sachherrschaft am Grundstück nicht bereits vermittelt (vgl FG Münster v 17.02.2005, 3 K 60/02 Ew, EW, EFG 2005, 834 zur Frage, ob eine über eine Grundschuld abgesicherte Bank, die nach Eintritt des Sicherungsfalls aufgrund eines durch Auflassungsvormerkung gesicherten Kaufangebots befugt war, einen Dritten als Käufer zu benennen, mit diesem einen höheren als den vereinbarten Mindestpreis zu vereinbaren und die Erlöse zur Tilgung des ausgereichten Darlehens zu verwenden, als wirtschaftliche Eigentümerin iSd § 39 Abs 2 Nr 1 AO anzusehen ist).