Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 869
Stand: EL 76 – ET: 11/2007
Die sog Verbindlichkeitsrückstellung setzt zu ihrer Bildung – Bilanzierungspflicht nach Handels- und Steuerrecht (s Rn 863) – folgende Sachverhaltsmerkmale voraus (st Rspr des BFH, zB BFH BStBl II 2006, 647), dh mit überwiegender Wahrscheinlichkeit:
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Bestehen (am Bilanzstichtag) einer der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit |
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oder (aus Sicht des Bilanzstichtags) hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer solchen Verbindlichkeit (s Rn 873) |
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wirtschaftliche Verursachung der Verbindlichkeit bis zum Bilanzstichtag (s Rn 874) |
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hinreichende Konkretisierung der Verbindlichkeit (s Rn 870), dh, der StPfl muss ernsthaft mit einer Inanspruchnahme rechnen (s Rn 870). |
Das letztgenannte Kriterium wird üblicherweise bei Umweltschutzverpflichtungen angewandt (s Rn 884), da hier das Tätigwerden der Behörde – sie gilt als "Gläubiger" – nicht so sicher ist wie bei "privaten" Gläubigern (s Rn 870). ME kann die "Konkretisierung" als Unterfall des Wahrscheinlichkeits-Kriteriums angesehen werden.
Darüber hinaus gilt:
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Die Verbindlichkeit muss Ausgaben betreffen, die nicht als AK o HK aktivierbar sind (s Rn 872); |
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es darf (negativ) kein förmliches steuerliches Bilanzierungsverbot bestehen (§ 5 Abs 3 u 4 EStG; s Rn 927ff); |
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die Verbindlichkeit muss künftige Aufwendungen (besser: Ausgaben) betreffen, denen keine Erträge (Einnahmen) gegenüberstehen – sonst uU Drohverlust (s Rn 889ff); |
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die Verbindlichkeit kann sich auf Geld- oder Sachleistungen beziehen (BFH BStBl II 2004, 126). |
Rn. 870
Stand: EL 102 – ET: 11/2013
Die Verbindlichkeit muss gegenüber einer anderen Person oder Instanz bestehen, nicht gegen "sich selbst" (dann Aufwandsrückstellung mit handelsrechtlichem Bilanzierungswahlrecht und damit steuerliches Bilanzierungsverbot gem § 249 Abs 2 HGB mit Ausnahmen in § 249 Abs 1 S 2 HGB).
Nicht erforderlich ist die Identifizierbarkeit des Gläubigers. Die Verpflichtung muss nicht rechtlich einklagbar sein. Es genügt ein faktischer Leistungszwang (typischer Fall der Kulanzrückstellung nach § 249 Abs 1 Nr 2 HGB 2. Alt; constructive obligation nach der Definition in IAS 37.10). Ein Rückstellungsansatz wegen strafbarer Handlungen, zB Veruntreuungen, kommt solange nicht in Betracht, wie der geschädigte Gläubiger keine Kenntnis von dem Vorgang hat (BFH BStBl II 1991, 802; 2006, 838).
Die andere Person kann auch eine öff-rechtliche Körperschaft sein, typischer Fall der Rückstellung für Umweltschutzverpflichtungen (s Rn 894). In diesem Zusammenhang verlangt der BFH BStBl II 1992, 236; 1992, 600; 1992, 1010 eine "hinreichende Konkretisierung" dieser öff-rechtlich verursachten Pflicht; eine solche liegt dann vor, wenn eine entsprechende behördliche Verfügung ergangen ist (so zur Auflage nach der "TA-Luft" BFH v 27.06.2001, I R 45/97, BStBl II 2003, 121; s Rn 874) oder unmittelbar droht, ansonsten eine gesetzliche Regelung besteht, die ein ganz konkretes Handeln der Behörde innerhalb eines voraussehbaren Zeitraums vorschreibt und dieser nicht zu weit vom betreffenden Wj entfernt liegt; (krit zu einem so verstandenen Sonderrecht für Umweltschutzverpflichtungen Schön, BB 1994, Beil 9, 8; Herzig, DB 1990, 1341; Kessler, DStR 1996, 1228; Eilers/Rosenberg, DStR 1996, 1113). Vgl auch BFH BStBl II 1998, 375; BFH/NV 2000, 1334. Solange keine Verfügung der zuständigen Behörde vorliegt oder keine konkrete Handlungsvorgabe des G besteht, liegt nicht rückstellungsfähiger Eigenaufwand vor – so zur Abfallentsorgung BFH BStBl II 2001, 570. Anders Christiansen in Kommentierung des Gerichtsbescheides I R 35/03, DStR 2005, 1488 wonach auch die bestehenden Normen eine hinreichende Konkretisierung liefern können. Nach dem Urt des BFH v 06.02.2013, I R 8/12, DStR 2013, 1018 in Übereinstimmung mit BFH v 13.02.2007, IV R 85/05, BStBl II 2008, 516 gilt nun: Am Bilanzstichtag bestehende Verfügungen oder Gesetzesbefehle, die erst später zu vollziehen sind, begründen keine Ansatzpflicht o -zulässigkeit.
In einem Grenzfall – Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen nach § 257 HGB u § 147 AO – hat der BFH BStBl II 2003, 131 die hinreichende Konkretisierung der Verpflichtung anerkannt (vgl Gosch, StBp 2003, 29). Den Rechtsgedanken dieses Urt wenden Groß/Matheis/Lindgens, DStR 2003, 921 auch auf die Kosten des Datenzugriffs der FinVerw an, allerdings unter Ablehnung durch die OFD-Rheinland, Verf v 05.11.2008, DStR 2008, 2730.
Die Verpflichtung aus Zinsen für Steuernachzahlungen nach § 233a AO sind konkretisiert, sobald die Nachzahlungsschuld entsteht (VZ der Mehrsteuer). Gleichwohl soll sie zum (kalendergleichen) Stichtag für diesen VZ noch nicht angesetzt werden dürfen, weil die Verzinsung den Liquiditätsvorteil durch die nicht zeitgerecht erfüllte Steuerschuld abgelten will. Deshalb darf ein Ansatz der Zinsschuld frühestens 15 Monate nach dem Ablauf des betreffenden VZ gebildet werden, begrenzt auf den bis dahin erfolgten Zinslauf (OFD Ffm v 22.04.2013, S 2133 A-21-St 210, DB 2013, 1084).
Rn. 871
Stand: EL 102 – ET: 11/20...