Aussetzung der Vollziehung: Ist die Höhe der Zinsen verfassungsgemäß?
Der Zinssatz bei Festsetzung von Aussetzungszinsen von 0,5 % monatlich (6 % p. a.) ist nach Auffassung des BFH seit 2019 verfassungswidrig.
Hintergrund
Der Kläger wandte sich mit dem Einspruch und Klage gegen seine Veranlagung zur Einkommensteuer 2012.
Auf Antrag des Klägers setzte das Finanzamt die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2012 i. H. v. 22.600 EUR (Einkommensteuer) und 1.350 EUR (Solidaritätszuschlag) ab deren Fälligkeit aus.
Die Klage war erfolglos.
Anschließend setzte das Finanzamt Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 2012 und zum Solidaritätszuschlag 2012 für die Zeit vom 22.9.2014 bis zum 15.4.2021 fest, und zwar mit dem gesetzlichen Zinssatz von 0,5 % für 78 volle Monate i. H. v. 8.814 EUR (Einkommensteuer) und 526 EUR (Solidaritätszuschlag).
Auf den Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 entfielen Zinsen von 3.051 EUR (Einkommensteuer) und 182,25 EUR (Solidaritätszuschlag).
Dagegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Der Einspruch ruhte zunächst wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes. Nach dem Beschluss des BVerfG zur Unvereinbarkeit des Zinssatzes bei der Vollverzinsung wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit der dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die AdV-Zinsen seien der Höhe nach seit dem 1.1.2019 verfassungswidrig und dürften nicht mehr erhoben werden.
Das FG bestätigte die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung. Die Höhe der Aussetzungszinsen verstoße – anders als die Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen – nicht gegen das Verfassungsrecht.
Entscheidung
Der BFH hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG eingeholt.
Zumindest der VIII. Senat des BFH ist davon überzeugt, dass die Höhe der ADV-Zinsen seit dem 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 gegen das Grundgesetz verstoße.
Die Belastung mit AdV-Zinsen i. H. v. 0,5 % monatlich führe zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase zu mehr als nur einer Liquiditätsvorteilsabschöpfung.
Der Zinssatz bei ADV-Zinsen sei zumindest ab 2019 unverhältnismäßig hoch.
Eine Ungleichbehandlung zur Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen liegt zudem vor. Steuerpflichtige, deren Steuerzahlungen zunächst ausgesetzt werden, werden im Vergleich zu Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nachträglich festgesetzt wird und bei denen Nachzahlungszinsen entstehen, ungleich behandelt. Die seit 2019 geltende Zinssatzspreizung ist nach Auffassung des VIII. Senats des BFH verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Ungleichbehandlung könne auch nicht mit der Begründung verneint werden, die Steuerpflichtigen hätten es (mehr oder weniger) selbst in der Hand, ob AdV-Zinsen entstehen. Durch die Antragsstellung nehme man zwar bewusst das Risiko von AdV-Zinsen in Kauf. Gleichwohl dürften diese Zinsen der Höhe nach nicht mehr als nur einen Liquiditätsvorteil abschöpfen und es dürfte im Vergleich zur Verzinsungshöhe für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nicht zu einer Ungleichbehandlung kommen. Dies sei aber seit 2019 der Fall.
Gibt es Kindergeld auch für im Wohnmobil lebende Kinder?
Für Kinder, die keinen Wohnsitz haben und mit ihrer Mutter in einem Wohnmobil durch Deutschland, Dänemark, Belgien, Frankreich, Italien und Österreich reisen, besteht Anspruch auf Kindergeld, wenn der Vater seinen Wohnsitz in Deutschland hat.
Hintergrund
Die Kindesmutter bezog bis Mai 2022 das Kindergeld für die 3 Kinder und gab Ende Mai 2022 gegenüber der Familienkasse an, dass sie sich und die 3 Kinder aus Deutschland abgemeldet und keine neue Adresse habe.
Der Wohnsitz des Vaters (Kläger) bleibe weiterhin im Inland und das Kindergeld solle auf das Konto des Klägers überwiesen werden. Die Familienkasse lehnte die Festsetzung des Kindergeldes ab Juni 2022 gegenüber dem Kläger ab, da die Kinder nicht mehr berücksichtigt werden könnten, weil sie weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, hätten.
Nach Auffassung des Klägers sei es dagegen ausreichend, dass sich die Kinder gewöhnlich in dem Gebiet aufhalten, das sich aus den Grenzen der Mitgliedstaaten der EU, des EWR bzw. der Schweiz ergäbe.
Entscheidung
Das FG hat der Klage stattgegeben, da der gewöhnliche Aufenthalt nicht an einem konkreten Ort oder in einem bestimmten Gebiet liegen müsse. Vielmehr reiche es aus, wenn der Aufenthalt für eine gewisse Dauer im Territorium der ...