Entscheidungsstichwort (Thema)
Hafengebiet als erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG?
Leitsatz (redaktionell)
Die Feststellungslast für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG obliegt dem Steuerpflichtigen.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 4, 4 Sätze 1, 3
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten vorrangig über die Gewährung von Verpflegungsmehraufwendungen.
Der Kläger, der mit der Klägerin zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, erzielt als Hafenfacharbeiter des Logistikunternehmens LOG in B. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Nach dem Einstellungsvertrag des Klägers aus dem April 1989 ergeben sich die Arbeitszeit, der Einsatzort und die durchzuführende Tätigkeit „ aus den jeweils bestehenden Festlegungen (z.B. Schichtpläne, tägliche Dispositionen, Anweisungen)“. Ausweislich einer Bescheinigung der LOG wurde der Kläger im Streitjahr an 119 Tagen „ in unterschiedlichen Bereichen des Autoterminal B. eingesetzt“.
In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger Fahrten zwischen Wohnung und weiträumigem Tätigkeitsgebiet im Umfang von 25 km an 120 Tagen. Dabei gab der Kläger als nächstgelegenen Zugang zum weiträumigen Tätigkeitsgebiet die Einfahrt zum Hafen B. in der S.-Straße an. Daneben begehrte er den Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen für eine Auswärtstätigkeit von mehr als 8 Stunden an 120 Tagen.
Nachdem die Kläger von dem beklagten Finanzamt zur Beurteilung und Prüfung des Vorliegens einer ersten Tätigkeitsstätte angeforderte Unterlagen nicht eingereicht hatten, erkannte das Finanzamt die Verpflegungsmehraufwendungen im Einkommensteuerbescheid vom 14. Mai 2021 nicht an. Zur Begründung verwies es auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. April 2019 (VI R 12/17), wonach „ auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen, Hafengebiet) als großräumige erste Tätigkeitsstätte in Betracht komme“. Im Streitfall sei von einer solchen (großräumigen) ersten Tätigkeitsstäte auszugehen.
Hiergegen legten die Kläger durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten am 31. Mai 2021 Einspruch ein. Nach umfangreichen Ausführungen, in denen das Steuersystem im Allgemeinen und das steuerliche Reisekostenrecht im Speziellen kritisiert wird, führte der Prozessbevollmächtigte auch aus, dass der Kläger im Autoumschlag tätig sei. Daraus folge, dass er seine Arbeit entweder auf einem Schiff, auf dem Weg von dort zum Stellplatz oder am Stellplatz verrichte und anschließend wieder „ zurückgefahren werde“. Die LOG verfüge in B. über mehrere Stellflächen größeren Umfangs. Dort bestehe auch die Möglichkeit, Schäden zu beseitigen oder „ Importwagen auf europäische Normen umzustellen“. Nach seinem – aus Zeitungsmeldungen erlangten – Wissen, habe die LOG in Spitzenzeiten noch Flächen hinzupachten müssen. Sie sei außerdem auch in C. im Autoumschlag tätig. Es handele sich dabei nicht „ um ein einziges, insgesamt zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers […], das vom Zuschnitt her z.B. einem Flugplatz vergleichbar wäre“. Für weitere Einzelheiten der Tätigkeit des Arbeitgebers des Klägers verwies der Prozessbevollmächtigte auf dessen Internetseite. Schließlich verwies der Prozessbevollmächtigte auf „ einem diesen ähnlichen Fall“, der Gegenstand einer unter dem Aktenzeichen VI R 48/20 beim BFH anhängigen Revision sei, und beantragte das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH.
Das beklagte Finanzamt wies durch Schreiben vom 20. August 2021 darauf hin, dass für eine abweichende Entscheidung in der Sache – wie auch für das Ruhen des Verfahrens – „ weitere Unterlagen vorzulegen seien, aus denen eine fehlende Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte erkennbar ist bzw. mit der eine Auswärtstätigkeit von über 8 Stunden belegt wird“. Diese seien bisher trotz Aufforderung nicht eingereicht worden. In dem von dem Prozessbevollmächtigten angeführten Revisionsverfahren sei der Steuerpflichtige mehreren Arbeitsstätten zugeordnet gewesen, die Mitarbeiter der LOG seien „ nach den bisherigen Erfahrungen“ aber „ dem Gebiet des Autoterminals B.“ und damit einer großräumigen ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet. Ein Ruhen käme nur in Betracht, wenn aus dem Arbeitsvertrag des Klägers und entsprechenden Bescheinigungen des Arbeitgebers über die Zuordnung keine eindeutige Regelung getroffen worden sei.
Nachdem die Kläger auch nach einer Erinnerung durch das Finanzamt weiterhin keine weitergehenden Unterlagen vorgelegt hatten, wies das beklagte Finanzamt ihren Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 23. November 2021 als unbegründet zurück. Die Kläger hätten ihren Einspruch „ trotz besonderer Aufforderung und Erinnerung nicht ausreichend begründet“. Im Rahmen der Nachprüfung des angefochtenen Bescheides hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, die zu seiner Änderung hätten führen können.
Am 27. Dezember 2021 haben...