Normenkette
AktG §§ 76, 111, 130-131, 172, 241, 243, 245-246, 253, 256; HGB §§ 249, 318-319
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.09.2006; Aktenzeichen 3-5 O 75/05) |
Tenor
1. Eine unterbliebene Rückstellung wegen möglicher Schadensersatzansprüche gegen die AG im Jahresabschluss ist dann kein Ansatzfehler, wenn die Schadensersatzbeträge in einem verschwindend geringen Verhältnis zur Gesamtbilanzsumme stehen (hier: weniger als ½ Prozentpunkt).
2. Der Umstand, dass der Vorstand der AG in der Hauptversammlung eine berechtigte Frage nach der Organisationsstruktur des Unternehmens (hier: Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens nach § 76 AktG) nicht oder nicht ausreichend beantwortet, kann zur Nichtigerklärung der Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat führen.
Gründe
I. Die Kläger waren und sind Aktionäre der Beklagten. Sie wenden sich gegen Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung 2005 der Beklagten, nämlich vom 18.5.2005, und zwar wie folgt: Gewinnverwendung (TOP 2), Entlastung des Vorstands (TOP 3), Entlastung des Aufsichtsrates (TOP 4), Wahl des Abschlussprüfers (TOP 5) und gegen die Feststellung des Jahresabschlusses 2004, die Klägerin zu 2) erstinstanzlich allein auch gegen einen Geschäftsordnungsbeschluss, durch den die Abwahl des Versammlungsleiters X abgelehnt wurde.
Im Dezember 2001 kam die Unternehmensgruppe des Ehemanns der Klägerin zu 1), Y, nach Medienberichten in finanzielle Bedrängnis. Am 3.2.2002 hielt der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten, X, der später - bei umstrittener Wirksamkeit - zum Aufsichtsrat gewählt und als dessen Vorsitzender tätig wurde, ein Fernsehinterview, das in seinem Kern eine, wie inzwischen rechtskräftig feststeht, schadensersatzbegründende Äußerung enthielt ("Was alles man darüber lesen und hören kann ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen.").
Die Kläger sehen dieses Interview als Ursache für hohe finanzielle Verluste des Y bzw. der von ihm beherrschten Gesellschaften.
Die Kläger halten die gefassten Beschlüsse für nichtig bzw. anfechtbar.
Eine Berechtigung des X zur Leitung der Hauptversammlung 2005 habe gefehlt und das Versammlungsprotokoll sei nicht rechtzeitig erstellt worden. Die satzungsmäßige Berechtigung des Versammlungsleiters wird von den Klägern angezweifelt, weil die Satzung die Leitung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder ein anderes Mitglied des Aufsichtsrats vorsehe. Aus dem Interview und der späteren Handhabung der vermeintlichen Ansprüche ergäbe sich ein wichtiger Grund für seine Abwahl, die zu Unrecht verweigert worden sei. Die Feststellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2004 sei nichtig, weil der Abschlussprüfer im Vorjahr unwirksam, jedenfalls aber von einem noch offenen Anfechtungsverfahren betroffen, bestellt worden sei und weil der Jahresabschluss 2004 zu Unrecht keine Rückstellung für Schadensersatzansprüche aus dem Interview enthalte, deren die Milliardengrenze übersteigende Höhe sich aus Schriftsätzen des Y zur Feststellungsklage vor dem LG München und dem OLG München ergeben habe. Zumindest für die Prozesskosten hätte ein Betrag zurückgestellt werden müssen. Die Prüferbestellung sei anfechtbar, weil der Abschlussprüfer das Fehlen einer Rückstellung für das Interview nicht beanstandet habe. Aus der Nichtigkeit der Abschlussfeststellung folge auch die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses. Zu den Entlastungsbeschlüssen für Vorstand und Aufsichtsrat haben die Kläger u.a. Informationsmängel eingewandt, weil zahlreiche in der Hauptversammlung gestellte Fragen nicht oder nicht ausreichend beantwortet worden seien, namentlich nach der Leitung des Unternehmens, zu der im Geschäftsbericht Äußerungen zur Aufgabenzuweisung an andere Gremien enthalten waren.
Die Kläger haben beantragt, festzustellen, dass die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 18.5.2005, durch welche die Verwendung des Bilanzgewinns (TOP 2), die Entlastung des Vorstandes (TOP 3), des Aufsichtsrats (TOP 4), und die Wahl des Abschlussprüfers (TOP 5) beschlossen wurden, nichtig sind, bzw. sie für nichtig zu erklären und festzustellen, dass der Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr zum 31.12.2004 nichtig ist, darüber hinaus noch die Klägerin zu 2), festzustellen, dass der Beschluss über die Geschäftsordnung für den Fall, dass kein Versammlungsleiter gewählt wird und der Aufsichtsratsvorsitzende X die Versammlungsleitung übernimmt, Herrn X aus wichtigem Grund als Leiter der Hauptversammlung vom 18.2.2005 abzuberufen, nichtig ist, bzw. ihn für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen.
Die Beklagte hat die Beschlüsse und die Abschlussfeststellung verteidigt.
Das LG hat mit dem beiderseits angefochtenen Urteil die Entlastungsbeschlüsse für nichtig erklärt, weil Fragen zur Funktion und Kontrolle von Leitungsgremien und zur Vergütung deren Mitglieder ...