Rz. 95
Nach § 6 Abs. 4 ErbStG stehen Nachvermächtnisse und beim Tod des Beschwerten fällige Vermächtnisse oder Auflagen den Nacherbschaften gleich.
Rz. 96
Ein solcher Fall ist insbesondere gegeben, wenn die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament mit gegenseitiger Erbeinsetzung bestimmen, dass ihren ansonsten zu Schlusserben eingesetzten Kindern beim Tod des erstversterbenden Elternteils Vermächtnisse zufallen sollen, die erst beim Tod des überlebenden Elternteils fällig werden. Die Vermächtnisse sind als Erwerb vom überlebenden Elternteil zu versteuern. Folglich liegt insoweit weder beim Tod des erstversterbenden noch beim Tod des überlebenden Ehegatten eine die jeweilige Bereicherung durch Erbanfall mindernde Vermächtnislast nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vor; beim Tod des überlebenden Ehegatten ist jedoch eine Erblasserschuld nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig.
Rz. 97
Entsprechendes gilt auch, wenn in einem sog. Berliner Testament (§ 2269 BGB) – um nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch die zu Schlusserben eingesetzten gemeinschaftlichen Kinder zu verhindern – bestimmt wird, dass den Kindern, die den Pflichtteil nicht fordern, als Erwerb vom erstversterbenden Elternteil ein Vermächtnis im Werte des Pflichtteils zufallen soll, das erst mit dem Tod des überlebenden Elternteils fällig wird (sog. Jastrowsche Klausel).
Rz. 98
Der Nachvermächtnisnehmer erhält das Vermächtnis vom Vorvermächtnisnehmer, wenn es ihm mit dessen Tod anfällt, andernfalls vom Erblasser. Dementsprechend bestimmen sich Steuerklasse, Freibetrag und Steuersatz. Stammt das Nachvermächtnis vom Vorvermächtnisnehmer, kann sich der Nachvermächtnisnehmer für eine Besteuerung nach dem Erblasser entscheiden, wenn das für ihn günstiger ist.
Rz. 99
Überträgt der Nachvermächtnisnehmer sein aufschiebend bedingtes Forderungsrecht entgeltlich, muss er das Entgelt nicht versteuern. Der BFH hat zwar zutreffend entschieden, dass der Verzicht des Nachvermächtnisnehmers zugunsten des Vorvermächtnisnehmers der Erbschaftsteuer unterliegt, den Steuertatbestand aber unzutreffend in § 6 Abs. 4 ErbStG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG gefunden. Denn der Nachvermächtnisnehmer hat kein Anwartschaftsrecht und kann daher weder auf ein Anwartschaftsrecht verzichten noch es übertragen. Daran kann auch § 6 Abs. 4 ErbStG nichts ändern. Deshalb hätte nur § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG oder § 7 Abs. 2 Nr. 10 ErbStG angewendet werden können. Beide beziehen sich allerdings nur auf einen Verzicht gegen Abfindung und nicht auf eine Veräußerung gegen Entgelt, so dass dieser Vorgang nur besteuert werden kann, wenn man das Entgelt für eine Veräußerung als Abfindung behandelt, was nicht richtig wäre.
Rz. 100
Auch mit dem Tod des Beschwerten (Erbe oder Vermächtnisnehmer) fällige Vermächtnisse werden nach den Regeln der Vor- und Nacherbschaft behandelt.
Rz. 101
Es ist nicht notwendig, dass das Vermächtnis oder die Auflage von Anfang an so fällig gestellt werden. Es genügt vielmehr, dass sie so fällig werden. § 6 Abs. 4 ErbStG greift daher auch dann ein, wenn das Vermächtnis oder die Auflage erst beim Tod des Belasteten anfällt (§ 2176 BGB) und nach § 271 BGB zugleich fällig wird.
Rz. 102
Die Versteuerung erfolgt in diesen Fällen in analoger Anwendung der Absätze 1 bis 3 des § 6 ErbStG. Kommt es auf den Tod des Vorvermächtnisnehmers an, ist § 6 Abs. 2 ErbStG entsprechend anzuwenden, sonst § 6 Abs. 3 ErbStG.
Rz. 103
Nach dem bis zum 31.12.2008 geltenden Recht konnte das Ergebnis des § 6 Abs. 4 ErbStG vermieden werden, wenn sich der Erblasser nicht eines Vermächtnisses bediente, sondern einer Auflage. Diese Gestaltung fiel allerdings der Erbschaftsteuerreform zum Opfer. Der Gesetzgeber ergänzte die Regelung in § 6 Abs. 4 ErbStG hinsichtlich der Vermächtnisse schlicht um die Auflagen.