Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzung des Verfahrens mit geändertem Gegenstand nach vorheriger Erledigungserklärung. Auslegung der Erledigungserklärung eines fachkundigen Prozessbevollmächtigten. kein Widerruf nach Eingang der übereinstimmenden Erledigungserklärung des Prozessgegners
Leitsatz (redaktionell)
1. Begehrt der Kläger trotz vorheriger Erledigungserklärung die Fortsetzung des Verfahrens im Hinblick auf einen Teil des Streitgegenstands, ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache ausnahmsweise mit dem geänderten Gegenstand fortzuführen, allein die Wirksamkeit der Erledigungserklärungen festzustellen.
2. Die von einem fachkundigen Prozessvertreter für den Kläger abgegebene Erklärung des Wortlauts „Jedenfalls ist deshalb in diesem Verfahren die Hauptsache für erledigt zu erklären. Das Verfahren kann damit abgeschlossen werden, weil die Verfolgung der Besteuerung im Lohnsteuerabzugsverfahren gegen den Arbeitgeber durch den Beklagten aufgegeben worden ist” ist dahin auszulegen, dass die Hauptsache insgesamt und vorbehaltslos für erledigt erklärt worden ist.
3. Ein Widerruf der Erledigungserklärung ist nach Eingang der übereinstimmenden Erledigungserklärung des anderen Hauptbeteiligten nicht mehr möglich.
Normenkette
FGO § 138; BGB § 133
Nachgehend
Tenor
1. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig war zunächst die Rechtmäßigkeit von Lohnsteuerfestsetzungen.
Die Klägerin ist eine in Liquidation befindliche GmbH. Gesellschafter der im Jahr 2008 gegründeten GmbH sind Herr Dr. ABC mit einer Beteiligung von 99% und Frau ABC mit einem Geschäftsanteil von 1%. Zum Geschäftsführer wurde Herr Dr. ABC (im Folgenden: Geschäftsführer) berufen. Geschäftsgegenstand ist die „Erbringung von ärztlichen Leistungen als Facharzt für innere Medizin und als Diabetologe sowie alle hiermit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, außerdem die Durchführung von Schulungen und Seminaren”. Durch Praxisübernahmevertrag vom Mai 2011 veräußerte die Klägerin ihre vertragsärztliche und privatärztliche Arztpraxis einschließlich Patientenkartei und ideellem Praxiswert zum 01.10.2011. Außerdem wurde vereinbart, dass der Übernehmer in alle Arbeitsverhältnisse eintritt. Im April 2013 beschloss die Gesellschafterversammlung mit Wirkung vom 01.07.2013 die Auflösung der Klägerin, berief ihren Geschäftsführer ab und bestellte ihn zum Liquidator. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Verträge Bezug genommen.
Unter dem 11.10.2012 reichte die Klägerin beim Beklagten (dem Finanzamt – FA –) zwei als Haftungsanzeige überschriebene Schreiben ein, mit denen sie in Bezug auf beide Gesellschafter mitteilte, dass sie (a) an den Geschäftsführer eine Abfindung von brutto 40.000 EUR und (b) an die Gesellschafterin Frau ABC eine Abfindung i.H. von 14.300 EUR gemäß Aufhebungsvereinbarungen vom 16.11.2011 ausgezahlt habe. Die Anzeigen erfolgten „wegen unterlassenen Lohnsteuerabzugs” und „zur Vermeidung einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme”. Den Schreiben war jeweils die genannte „Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarung” vom 16.11.2011 zwischen der Klägerin und ihrem Geschäftsführer bzw. zwischen der Klägerin und Frau ABC beigefügt. In diesen war vereinbart, dass der Geschäftsführerdienstvertrag und der Anstellungsvertrag (Frau ABC) im gegenseitigen Einvernehmen mit Wirkung zum 30.06.2012 aufgehoben werden. Die Klägerin verpflichtete sich, ihren Geschäftsführer bzw. Frau ABC unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Bezüge von der Arbeitsleistung freizustellen (Präambel und § 2 Aufhebungsvertrag). Außerdem hatte die Klägerin dem Geschäftsführer eine Abfindung i.H. von 40.000 EUR und Frau ABC eine Abfindung von 14.300 EUR zu zahlen, fällig zur Zahlung mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2012 (§ 3 Aufhebungsvertrag). Mit dieser Vereinbarung seien der Fortbestand und die Beendigung des Dienstverhältnisses bis zum 30.06.2012 abschließend geregelt (§ 7 bzw. § 6 Aufhebungsvertrag).
Aufgrund der Haftungsanzeigen forderte das FA die Klägerin auf, für die zwei vorbenannten Arbeitnehmer monatliche Lohnsteueranmeldungen für die Monate November 2011 bis Juni 2012 abzugeben. Nachdem die Klägerin keine Lohnsteueranmeldungen für die genannten Zeiträume abgab, schätzte das FA unter anderem auf Grundlage der Aufhebungsvereinbarungen vom 16.11.2011 die Besteuerungsgrundlagen und setzte gegenüber der Klägerin Lohnsteuer für die genannten Zeiträume fest. Mit ihren hiergegen eingelegten Einsprüchen machte die Klägerin geltend, dass keine Arbeitsverhältnisse für die betreffenden Zeiträume bestünden und die Versteuerung der Abfindungszahlungen allein im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen der Empfänger der Abfindungszahlungen zu erfolgen habe.
Das FA wies die Einsprüche zurück. Aus den Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarung sei a...