Dr. Saskia Dörr erklärt, warum sich Steuerkanzleien mit sozialer und digitaler Verantwortung auseinandersetzen sollten und wie sie daraus ein Geschäftsmodell entwickeln können.
Frau Dörr, Sie beraten Unternehmen unter anderem zu Corporate Digital Responsibility, kurz CDR, was hat es damit auf sich?
Bei der Corporate Digital Responsibility geht es um die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen für soziale und ökologische Standards, für Werte und Normen, die auch in einer digitalen Gesellschaft bestehen bleiben und die man zusammenfassend mit dem Begriff Nachhaltigkeit beschreiben kann. Das ist eine Verantwortung, die sich nicht aus gesetzlichen Vorgaben ergibt, sondern darüber hinausgeht. Unternehmen verstehen sich dabei als gesellschaftliche Akteure, die etwas zum Wohl der Gemeinschaft beitragen.
Beschreibt der Begriff Corporate Social Responsibility das nicht besser? Wie passen die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen?
Die beiden Megatrends „Nachhaltigkeit“ und „Digitalisierung“ kommen aus unterschiedlichen Richtungen, das ist richtig. Die Nachhaltigkeit ist so etwas wie der moralische Imperativ des 21. Jahrhunderts, vorangetrieben von den Vereinten Nationen, den Kirchen und natürlich den großen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Digitalisierung hingegen ist sehr stark verbunden mit ökonomischen Hoffnungen. Beide Trends haben aber gerade für die Wirtschaft eine transformative Wirkung und beeinflussen sich gegenseitig. Deshalb sollten Unternehmen beide Themen betrachten, um herauszufinden, wie sie die eigene Organisation und das eigene Geschäftsmodell beeinflussen.
Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung?
Das können positive, aber auch negative Wechselwirkungen sein. Eine positive Wechselwirkung wäre es zum Beispiel, wenn ein Unternehmen mit Hilfe von digitalen Tools seinen ökologischen Fußabdruck verringern oder eine faire Lieferkette etablieren kann. Auf der anderen Seite führt die Digitalisierung häufig nicht zu mehr Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit, sondern sie produziert unerwünschte Nebenwirkungen. Beispiele dafür sind etwa die missbräuchliche Nutzung von Kundendaten durch Firmen, aber auch solche Phänomene wie Hass im Netz oder Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz. Wenn Unternehmen die Wechselwirkungen berücksichtigen und sich zum Wohle der Gesellschaft damit auseinandersetzen, handeln sie digital verantwortlich.
Welche Art von Unternehmen wenden sich an Sie?
Eigentlich ist CDR für alle Unternehmen interessant, die eine datenbasierte Wertschöpfung oder digitale Geschäftsmodelle aufbauen. Ich unterstütze insbesondere Unternehmen aus der Finanz- und Versicherungsbranche. Dazu habe ich ein Management-Fachbuch geschrieben, den Praxisleitfaden Corporate Digital Responsibility, der sich insbesondere an Unternehmen richtet, die ursprünglich nicht digital gearbeitet haben, sondern sich diesem Thema jetzt im Zuge einer Neuausrichtung und Veränderung widmen. Ich bin Impulsgeberin für Know-how-Aufbau und -Transfer und für Multiplikatoren und Wirtschaftsverbände, denn das Thema kommt durch die Politik nach und nach auch bei den KMUs an.
Corporate Digital Responsibility soll Vertrauen wiederherstellen und ist eine Investition in den zukünftigen Erfolg von Unternehmen.
Sind politische Anreize der Grund, warum sich Unternehmen mit CDR beschäftigen oder hängt es mit der Auseinandersetzung der eigenen Außendarstellung zusammen?
Die Motivationen sind je nach Unternehmen unterschiedlich und hängen von den Stakeholdern und deren Erwartungen an das Unternehmen ab. Es geht aber immer um Vertrauen. Vertrauen ist die Grundlage von erfolgreichem Wirtschaften. Die Digitalisierung, die die Geschäftsmodelle der Unternehmen verändert, führt aber zu einer Vertrauenskrise. Die verschiedenen Interessensgruppen wie Kunden, Mitarbeiter, Geldgeber, aber auch die Öffentlichkeit wissen nicht, wie sie Unternehmen vertrauen können. Corporate Digital Responsibility soll dieses Vertrauen wiederherstellen und ist eine Investition in den zukünftigen Erfolg von Unternehmen. Eine Studie vom Zentrum Digitalisierung Bayern hat herausgefunden, dass CDR über diese Vertrauensfrage hinaus weitere Wettbewerbsvorteile schafft. Unternehmen stärken zum Beispiel ihre Innovationskraft, weil sie sich proaktiv mit neuen Themen auseinandersetzen, gleichzeitig werden sie als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen, was gerade für KMUs wichtig ist.
Kommen auch Steuerberatungskanzleien auf Sie zu?
Momentan berate ich Steuerberatungskanzleien zu Fragen rund um die digitale Transformation und die damit verbundene Organisationsentwicklung. Die steuerlichen Veränderungen durch die Coronakrise haben im Jahr 2020 enorm viele Ressourcen in der Branche gebunden. CDR ist daher leider bisher noch nicht auf der strategischen Agenda oben angekommen.
Sollten sich Steuerberatungskanzleien denn mit Corporate Digital Responsibility beschäftigen?
Auf jeden Fall. Das Geschäftsmodell der Steuerberater wandelt sich durch die Digitalisierung stark, viele Prozesse werden rationalisiert. Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen hat in den Kanzleien schon begonnen und oft generieren sie Wertschöpfung aus Daten, zum Beispiel, wenn sie die Daten ihrer Mandanten für die betriebswirtschaftliche Beratung nutzen. Daten werden zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells und da kommt CDR ins Spiel.
Wahrscheinlich haben Kanzleien dabei zunächst den Datenschutz und die gesetzlichen Vorgaben im Blick.
Klar, die rechtliche Grundlage für eine datenbasierte Wertschöpfung muss immer gegeben sein. Allerdings sehen wir gerade am Beispiel der DSGVO, dass solche Vorgaben unterschiedlich ausgelegt werden können. Unternehmen können zum Beispiel entscheiden, wie transparent sie bei der Gewinnung und Verarbeitung von Daten sein wollen. Das sind Entscheidungen, die auf freiwilliger Basis stattfinden und die fallen in den Bereich der Corporate Digital Responsibility.
Gerade in Bezug auf Transparenz werden mit der Zeit Standards gesetzt, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen. Beispiele für den Bereich Nachhaltigkeit sind das Global Reporting Initiative (GRI), das Richtlinien für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten anbietet, oder auch der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK). Erst danach kam dann ein entsprechendes Gesetz, das CSR-RUG, dass große Unternehmen in der EU zum nichtfinanziellen Reporting verpflichtet. Es reicht also nicht aus, sich auf die gesetzlichen Vorgaben zu beziehen, zumal wir es mit technologischen Entwicklungen zu tun haben, die so schnell sind, dass gesetzliche Regulierungen nicht mithalten können.
Vertrauen ist der USP des Steuerberaters. Es darf bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke bleiben.
Gibt es noch mehr Gründe, warum gerade Steuerkanzleien CDR im Blick haben sollten?
Steuerberatungskanzleien nehmen in der Wirtschaft eine ganz besondere Rolle ein. Sie erhalten Einblicke das Leben beziehungsweise die Unternehmen ihrer Mandanten, die sonst niemand so bekommt. Ihrem Steuerberater müssen sie unbedingt vertrauen können. Er erhält die wichtigsten Daten, die man hat. Diese Vertrauensposition müssen sich Steuerkanzleien erhalten. Vertrauen ist der USP des Steuerberaters. Es darf bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke bleiben.
In Zukunft sollen sich Steuerberaterinnen und Steuerberater stärker auf die Beratung als auf die reine Deklaration konzentrieren. Könnten Steuerberater auch zu Nachhaltigkeits- und Digital Responsibility-Beratern werden?
Wenn eine Kanzlei dieses Thema intern umfangreich bearbeitet und neben den praktischen Erfahrungen auch theoretische Kenntnisse aufgebaut hat, kann sie ein guter Ansprechpartner für die eigenen Mandanten sein und durchaus Beratung zu CDR anbieten.
Zur Person
Dr. Saskia Dörr ist Expertin für Corporate Digital Responsibility. Sie unterstützt mit ihrem Unternehmen WiseWay Mittelständler und Konzerne bei der Digitalisierung mit Verantwortung, um ihren „guten Ruf“ bei Kunden, Talenten und der Öffentlichkeit auch im Digitalzeitalter zu erhalten. Sie verbindet dabei ihre jahrzehntelange Erfahrung im Management digitaler Innovations- und Produktbereiche mit ihrer fachlichen Expertise im Nachhaltigkeitsmanagement sowie in der Organisationsentwicklung. Im März 2020 ist ihr „Praxisleitfaden Corporate Digital Responsibility“ als erstes deutschsprachiges Managementbuch zu diesem Thema erschienen.