Viel Arbeit, viel Druck, viel Verantwortung: Steuerberaterinnen und Steuerberater haben keinen leichten Job. Achim Kremulat hat erlebt, wie schnell man in dieser Branche ausbrennen kann und drückte die Stopp-Taste. Jetzt möchte er seinen Kolleginnen und Kollegen zu mehr Leichtigkeit im Berufsalltag verhelfen. Im Interview berichtet er von seinem Weg.
Herr Kremulat, Sie sind Steuerberater, haben aber für Ihren Berufszweig eine recht ungewöhnliche Karriere hingelegt. Kann man das so sagen?
Meine Karriere als Steuerberater war bis vor ein paar Jahren noch recht typisch für das Berufsbild: Abitur, BWL-Studium, Einstieg als Prüfungsassistent in einer Kanzlei, ein paar Jahre Praxiserfahrung, Steuerberaterprüfung, Steuerberater. Drei Jahre nach der Prüfung wurde ich schon Partner in derselben Kanzlei, in der ich nach meinem Studium angefangen hatte zu arbeiten. Mit 34 Jahren hatte ich alle meine beruflichen Träume verwirklicht.
Klingt super.
Ja, besser hätte man es nicht malen können. Als Partner habe ich außerdem die Aufgabe übernommen, die Managementthemen in unserer Kanzlei voranzutreiben.
Ich habe mich in meiner aktiven Steuerberaterkarriere kaputtgearbeitet.
Trotzdem sind Sie heute weder Partner, noch arbeiten Sie aktiv als Steuerberater. Wie kam es dazu?
Ich habe mich in meiner aktiven Steuerberaterkarriere kaputtgearbeitet. Vier Jahre, nachdem ich Partner wurde, hatte ich mein erstes Burnout. Bis ich das überhaupt erkannt hatte, hatte ich einen langen Leidensweg mit körperlichen Beschwerden hinter mir. Eines Morgens stand ich dann vor meinem Kleiderschrank und war eine Stunde lang nicht in der Lage, mir ein Hemd aus dem Schrank zu nehmen. Das war ein erster Tipping Point. Ein paar Monate später hatte ich wieder starke körperliche Symptome, die einfach nicht auskuriert werden konnten. Als mein Vater mich darauf ansprach und fragte, ob dahinter nicht psychische Probleme stecken könnten, ist der Groschen gefallen. Ich habe anschließend eine Kurzzeittherapie in einer Klinik gemacht. Das ist jetzt acht Jahre her, damals hat meine Veränderung begonnen.
Was ist Ihnen damals klar geworden?
Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben mit mir selbst auseinandergesetzt: Warum mache ich das, was ich mache? Was mache ich gerne? Was tut mir gut? Was tut mir nicht gut? Bis dahin bin ich immer irgendeinem Ziel hinterhergelaufen, aber das Warum war mir nie klar.
Wie hat diese Erkenntnis Ihre Arbeit beeinflusst?
Ich habe nach der Therapie vieles, was ich dort gelernt habe, in meine Arbeit einfließen lassen. Ich habe weniger gearbeitet. Ich habe darauf geachtet, Pausen zu machen. Ich habe geschaut, was mir leichtfällt und was nicht. Ich habe um Hilfe gebeten, Aufgaben delegiert, Mitarbeiterinnen und Miarbeitern mehr Vertrauen geschenkt und nicht mehr alles haarklein kontrolliert. Dadurch konnte ich nicht nur meine eigenen Stärken fördern, sondern auch die meiner Mitarbeiter. Das war ein kompletter Mindshift. Unterm Strich habe ich zwar weniger Stunden gearbeitet, dafür aber mehr geschafft als vorher. Und ich habe gemerkt, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Sie klettern immer weiter die Karriereleiter hoch, schauen aber gar nicht, ob diese Leiter an der richtigen Stelle steht.
Steuerberater machen sich viel Druck, achten auf alle anderen, aber auf sich selbst am allerwenigsten.
Sind die Probleme, die Sie hatten, typisch für die Branche?
Mein damaliges Verhalten ist leider typisch für die Branche. Wir Steuerberaterinnen und Steuerberater haben ein Helfersyndrom. Wir wollen unsere Mandanten gut beraten und ihnen helfen. Wir wollen den Mitarbeitern helfen und keine Verantwortung abgeben – wir sind schließlich die Freiberufler und tragen die Verantwortung. Steuerberater machen sich viel Druck, achten auf alle anderen, aber auf sich selbst am allerwenigsten. Ich kenne ganz viele Berufskollegen, denen es genauso geht, wie es mir damals ging. Deshalb hatte ich auch den starken Wunsch, meine Erfahrung weiterzugeben. Ich möchte, dass Menschen Warnzeichen erkennen können und etwas tun, bevor sie im Burnout landen.
Mittlerweile arbeiten Sie nicht mehr als aktiver Steuerberater, sondern Sie beraten Kolleginnen und Kollegen, die etwas in ihrem Berufsalltag ändern möchten. Müssen die Steuerberater dafür einmal die Stopp-Taste drücken und von außen auf ihre eigene Situation blicken?
Sie müssen nicht unbedingt alles pausieren. Es reicht, wenn sie sich ein paar regelmäßige Zeiträume freischaffen. Das ist mein erster Ansatz in der Zusammenarbeit: Freiräume schaffen mithilfe eines guten Zeitmanagements und den dazu passenden Tools. Die gewonnene Zeit können die Steuerberater dann nutzen, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Welche Fragen kommen bei so einer Auseinandersetzung auf den Tisch?
Eigentlich sind es banale Fragen: Wie will ich arbeiten? Mit wem möchte ich zusammenarbeiten? Für wen möchte ich arbeiten?
Für wen möchte ich arbeiten – hier geht es wahrscheinlich um die Mandantinnen und Mandanten?
Genau, denn zumindest als selbstständig arbeitender Steuerberater kann man es sich im Grunde aussuchen, welche Mandanten man berät. Wenn Steuerberater Mandanten haben, bei denen sie sich fachlich nicht sicher fühlen oder mit denen sie menschlich nicht klarkommen, sollten sie die Entscheidung treffen, diesen Mandanten abzulehnen.
Das wird vielen Steuerberatern schwer fallen.
Ja, aber sie müssen verstehen: Damit tun sie sich nicht nur selbst einen Gefallen, sondern auch dem Mandanten. Dem ist doch auch viel mehr geholfen, wenn er einen Berater hat, mit dem er gut klarkommt und der ihn fachlich richtig beraten kann. Dasselbe gilt für Mitarbeiter, mit denen die Zusammenarbeit einfach nicht funktioniert. Auch für die ist es besser, wenn sie in einer Kanzlei arbeiten, in der sie nicht ständig mit dem Chef oder der Chefin aneinandergeraten.
Sollten Steuerberater bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit auch die Kanzleiorganisation im Blick haben?
Unbedingt. Sie sollten sich fragen, in welcher Art von Büro sie arbeiten wollen. Wie soll es aussehen? Welche Prozesse gibt es? Wie ist der Umgang untereinander? Möchten sie im Anzug und Krawatte dort sitzen oder lieber im T-Shirt? Hier geht es auch darum, sich von alten Glaubenssätzen zu lösen, die einem vorgeben, wie man was in dieser Branche zu tun oder zu lassen hat.
Ich hoffe, dass sich mehr Kolleginnen und Kollegen mit der eigenen Arbeit auseinandersetzen bevor sie im Burnout landen.
Das klingt nach viel Arbeit.
Diese Fragen müssen nicht alle auf einmal geklärt werden. Das geht Schritt für Schritt und wenn man erst einmal ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, geht es ganz leicht.
Sie arbeiten seit einem Jahr als Coach für Steuerberater. Welche Erfahrungen durften Sie machen?
Tatsächlich ist es so, dass viele Kolleginnen und Kollegen zu mir kommen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, in der ich vor meinem Burnout war. Sie haben einen hohen Leidensdruck, sind zunächst aber skeptisch, woher sie die Zeit für eine Auseinandersetzung mit sich selbst nehmen sollen. Auch zu meinen Beiträgen, die ich auf LinkedIn teile, bekomme ich viele Rückmeldungen. Oft sind das Menschen, denen es in ihrer aktuellen Situation nicht gut geht, die es aber nicht schaffen, daran etwas zu ändern. Deshalb kommuniziere ich meine Geschichte und meine Strategien auch so bewusst nach außen, weil ich hoffe, dass sich mehr Kolleginnen und Kollegen mit der eigenen Arbeit auseinandersetzen bevor sie im Burnout landen. Denn wenn Steuerberater sich erst einmal ein Umfeld geschaffen haben, in dem sie sich wohlfühlen, wird der Beruf so viel leichter.
Zur Person:
Achim Kremulat ist Mentor, Coach und Sparringspartner für Steuerberaterinnen und Steuerberater. Er hat in seiner 20-jährigen Karriere in der Steuerbranche nahezu alle Stationen einer „typischen“ Steuerberater-Karriere durchlaufen. Sein erster Burnout war der Beginn eines persönlichen Veränderungsprozesses, den er nun offen teilt, zum Beispiel auf LinkedIn. „Meine Mission ist es, wieder mehr Gesundheit, Bewusstsein, Leichtigkeit und Freude in die Branche zu bringen. Zum Wohle aller Beteiligten: Chefs, Mitarbeiter, Mandanten und nicht zuletzt aller dazugehörigen Familienmitglieder", sagt er.