Im Unternehmen smartsteuer gibt es seit 2019 keine Hierarchien mehr. Können Steuerkanzleien von diesem Führungsmodell lernen?
Teams, die agil arbeiten, Unternehmen, in denen niemand der Chef ist – mittlerweile gibt es einige Beispiele für neue Führungs- und Arbeitsmodelle. Eines davon kommt vom Steuer-Softwareanbieter smartsteuer, einem Unternehmen der Haufe Group. Dort gab es 2019 eine folgenreiche Veränderung: In dem Unternehmen wurden die Hierarchien abgeschafft. Björn Waide, einst Geschäftsführer von smartsteuer und heute Managing Director der Business Group Tax & Tax Consultants der Haufe Group, sprach beim Steuerberatertag 2021 über die Entwicklung bei smartsteuer und erzählte, was Steuerkanzleien von der Arbeitsweise der smartsteuer-Teams lernen können.
Aus dem Wunsch nach Innovation wurde das Arbeiten ohne Hierarchien
„Als wir mit dem Projekt begonnen haben, hatten wir nicht das Ziel vor Augen, alle Führungskräfte abzuschaffen“, erzählt Björn Waide vom Beginn der Umstrukturierungen 2019. Vielmehr habe es bei ihm und bei den Führungskräften vor allem einen Wunsch nach Veränderung gegeben. Mit externer Beratungshilfe und dem ausführlichen Feedback der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstanden schließlich theoretische Modelle, die in letzter Konsequenz ohne Führungskräfte auskamen. „Wir wollten das radikal angehen, weil wir auch etwas Radikales erreichen wollten.“ smartsteuer war damals seit zehn Jahren am Markt, das Geschäft lief. „Wir wollten aber weiterhin Pioniere sein“, so Björn Waide. Ob die radikalere Herangehensweise tatsächlich mehr Innovation möglich machte, sollten zunächst einzelne Projekte in der Praxis testen. „Die Projekte liefen hervorragend, deshalb haben wir die Art, wie dort gearbeitet wurde, auf die ganze Organisation übertragen.“ Das Arbeiten ohne Hierarchien begann.
Selbstverantwortung, Abstimmung mit den Füßen, Strategiekreis – auf diesen drei Säulen fußt das Arbeitsmodell bei smartsteuer
Aber wie kann ein Arbeiten ohne Hierarchien in der Praxis aussehen? Und bleiben dabei unbeliebte Aufgaben liegen? „Wir haben zu Beginn des Prozesses eine Aufgabeninventur gemacht und Aufgaben definiert, die gemacht werden müssen, damit das Geschäft läuft“, sagt Waide. Diese Aufgaben wurden Personen zugeordnet, die allein oder in Dreiergruppen die Verantwortung dafür tragen. „Aber uns ging es bei der Veränderung hauptsächlich darum, Neues zu entwickeln“, sagt Waide. Deshalb wurde der sogenannte Thesenbasar ins Leben gerufen, bei dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einmal im Monat ihre Ideen vorstellen können. Demokratisch abgestimmt wird nicht, es genügt nur so viel Zuspruch, wie nötig ist. „Das ist unsere Abstimmung mit den Füßen: Wenn genügend Leute da sind, die Lust haben, eine Idee umzusetzen, wird sie umgesetzt.“ Ergänzt wird dieser Thesenbasar mit einem Strategiekreis, bestehend aus immer wieder wechselnden Mitgliedern einzelner Fachbereiche, der die Gesamtstrategie des Unternehmens festlegt.
Arbeiten ohne Hierarchien – ein Modell für Steuerkanzleien?
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus der Steuerbranche zu smartsteuer kommen und zuvor beispielsweise in Steuerkanzleien gearbeitet haben, sei diese Arbeitsweise zunächst eine Umstellung, sagt Waide. „Aber es dauert meist nicht lange und dann können sie es sich nicht mehr vorstellen, wieder in einer Kanzlei zu arbeiten – zumindest nicht zu den alten Arbeitsbedingungen.“ Dennoch sollten sich Kanzleien nicht allein wegen der Imagepflege mit neuen Arbeitsorganisationsmodellen beschäftigen. „Es braucht einen Grund für die Veränderungen. Ich muss wissen, was ich damit erreichen will.“ Und Gründe gebe es für die Steuerbranche genug: „Die Branche ist in einem großen Umbruch, und jede Kanzlei sollte sich damit auseinandersetzen, was dieser Umbruch für sie bedeutet. Die Vermutung liegt nahe, dass man die neuen Herausforderungen nicht mit den alten Arbeitsmethoden bewerkstelligen kann. Deshalb glaube ich ganz fest daran, dass in der ganzen Branche ein Umdenken passieren muss.“
Einer dieser Herausforderungen, nämlich dem Fachkräftemangel, könne man mit neuen Arbeitsmodellen begegnen. Allerdings, so Björn Waide, haben sich durch die Pandemie bereits einige Schwerpunkte des selbstorganisierten Arbeitens, wie etwa die Wahl von Arbeitsort und Arbeitszeit, so etabliert, dass sich Arbeitgeber damit nicht mehr profilieren können. „Wer sich damit nicht beschäftigt, wird abgehängt.“ Zudem sollte hinter der Auseinandersetzung mit neuen Arbeitsformen mehr stecken als reines Employer Branding.
Vertrauen ermöglicht den ersten Schritt
Und wie können Unternehmen und Kanzleien, die ihre Arbeitsmodelle verändern wollen, den ersten Schritt gehen? „Was man nicht machen sollte, ist von heute auf morgen alles auf den Kopf zu stellen“, sagt Waide. Zuerst müssten Grundvoraussetzungen geschaffen werden, damit das hierarchiefreie Arbeiten etabliert werden kann. Außerdem sei es wichtig, Transparenz zu schaffen, damit diejenigen, die Entscheidungen treffen sollen, diese auch treffen können. Ein weiteres wichtiges Element sei Vertrauen. „Dieses Vertrauen muss man sich erarbeiten. Das kann zum Beispiel über projektbasiertes Arbeiten passieren.“ Generell sei es sinnvoll, Aufgaben und Projekte zu suchen, bei denen die neue Art des hierarchiefreien und agilen Arbeitens wirklich nützlich ist. „Und dann sollte man generell offen sein für Veränderungen. Wenn man kontinuierlich erfährt, dass Veränderungen gar nicht so weh tun und Fehler, wenn sie gemacht werden, auch wieder korrigiert werden können, fällt es leichter, den nächsten Schritt zu gehen.“