Dipl.-Finanzwirt (FH) Carsten Timm
Rz. 56
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Im alten Umsatzsteuersystem (bis 1967 vgl. Einführung UStG) ohne Vorsteuerabzug lag der wirtschaftspolitische Zweck der Rechtsfigur der Organschaft im Wesentlichen darin, dem Drang zur vertikalen Konzentration durch Fusionen entgegenzuwirken. Die Einführung dieser Rechtsfigur beseitigte zwar innerhalb des Organkreises die Umsatzsteuerkumulierung, verschärfte jedoch die Wettbewerbsbenachteiligung der einstufigen Unternehmen, denn der Wettbewerbsvorteil der mehrstufigen Unternehmen kam nun auch den Organkreisen zugute (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Anm. 630).
Rz. 57
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Mit der Einführung des Vorsteuerabzugs zum 01.01.1968 verlor die Organschaftsregelung an Bedeutung. Wenn Stadie (in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2, Anm. 631) die Organschaft nunmehr als "überflüssig" bezeichnet, straft er sich selbst in den anschließenden Ausführungen Lügen. Bei Umsätzen zwischen verbundenen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen ist es wegen des Vorsteuerabzugs im Ergebnis ohne Auswirkung, ob Organschaft besteht oder nicht. Besteht keine Organschaft, so wird bei Umsätzen innerhalb einer Unternehmerkette die jeweilige Umsatzsteuerbelastung durch den Vorsteuerabzug wieder beseitigt, und nur der letzte Umsatz bleibt endgültig mit Umsatzsteuer belastet. Besteht zwischen den Beteiligten Organschaft, so tritt dasselbe Ergebnis ein. Die Vorteile bestehen nunmehr (lediglich) darin, dass
- nicht jeweils Umsatzsteuer an das FA abgeführt werden muss, die die nachfolgende Gesellschaft als Vorsteuer wieder vergütet erhält (Liquiditätsvorteil) und
- bei den Organgesellschaften die Verwaltungsarbeit im Verhältnis zum Finanzamt entfällt (Stadie, a. a. O.).
Rz. 58
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Vorteile entstehen durch die Organschaft bei Umsätzen innerhalb des Organkreises, wenn einer der Beteiligten nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Besteht keine Organschaft und führt ein Unternehmen (Muttergesellschaft) steuerpflichtige Umsätze an eine beherrschte Gesellschaft (Tochtergesellschaft) aus, die die bezogenen Leistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze nach § 4 Nr. 7 ff. UStG verwendet, so wird die von der Muttergesellschaft geschuldete Umsatzsteuer der Tochtergesellschaft nicht als Vorsteuer vergütet (§ 15 Abs. 2 UStG). Innerhalb des Verbundes entsteht eine Umsatzsteuerbelastung i. H. d. Steuer auf den von der Muttergesellschaft geschaffenen Mehrwert, d. h. in Gestalt der Differenz zwischen der von ihr geschuldeten Umsatzsteuer und der bei ihr abziehbaren Vorsteuer. Liegt hingegen Organschaft vor, so tritt die Belastung nur i. H. d. bei der Muttergesellschaft nunmehr nicht abziehbaren Vorsteuern ein (Stadie, a. a. O., Anm. 632).
(nach Stadie a. a. O.)
Bauunternehmer B liefert für 10.000.000 EUR + 1.900.000 EUR USt Wohngebäude an die Wohnungsbauvermietungs (W)-GmbH. Die Vorsteuern des B betragen 300.000 EUR.
Folge:
Bei der W-GmbH sind die 1.900.000 EUR USt nicht als Vorsteuer abziehbar (§ 15 Abs. 2 i. V. m. § 4 Nr. 12 UStG) und führen mithin zu Kosten.
Ist die W-GmbH aber eine Organgesellschaft des B, fällt hinsichtlich der Gebäudelieferungen keine Umsatzsteuer an. Lediglich die Vorsteuern sind nunmehr bei B nicht abziehbar, da die Vermietungen dem B als Organträger als eigene Umsätze zuzurechnen sind.
Ergebnis:
Bei Organschaft beträgt die Umsatzsteuerbelastung lediglich 300.000 EUR, sodass sich ein Vorteil i. H. v. 1.600.000 EUR ergibt.
Rz. 59
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall, wenn eine Tochtergesellschaft steuerpflichtige Umsätze gegenüber dem Mutterunternehmen oder einer Schwestergesellschaft ausführt, das bzw. die die vorsteuerabzugsschädlichen Umsätze tätigt (vgl. Rz. 118 ff.).