Rz. 13
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Ein wichtiges EuGH-Urteil (vom 08.05.2003, Rs. C-269/00, Wolfgang Seeling, UR 2003, 288 = UStB 2003, 191 = UVR 2003, 232) beschäftigt sich mit der Privatwohnung des Unternehmers in einem Unternehmensgebäude. Nach zwischenzeitlich aufgegebener Verwaltungsauffassung führte die private Verwendung eines im Übrigen unternehmerisch genutzten Gebäudes in analoger Anwendung des § 4 Nr. 12a UStG zur steuerfreien unentgeltlichen Wertabgabe (so noch Abschn. 24c Abs. 7 UStR 2000). Dagegen hat der EuGH entschieden, dass die teilweise private Nutzung eine steuerpflichtige Wertabgabe darstelle. Die analoge Anwendung von § 4 Nr. 12a UStG widerspreche Art. 26 Abs. 1 Buchst. a, Art. 135 MwStSystRL, der Autonomie der gemeinschaftsrechtlichen Begriffe und der engen Auslegung der Steuerbefreiungstatbestände. Der Vorsteuerabzug aus den Kosten des Gebäudes (Anschaffung, Herstellung, laufende Unterhaltung) sei daher möglich (vgl. Abschn. 24c Abs. 7 UStR 2008, unverändert fortgeführt durch Abschn. 3.4. Abs. 7 UStAE).
Rz. 14
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Das Urteil des EuGH "enthält die Abrissverfügung für ein Monument aus der Gründerzeit der deutschen USt" (Wagner, Urteilsanmerkung, INF 2003, 851; ders., UVR 2003, 232, 236). Die Gleichstellung der privaten (unentgeltlichen) Nutzung eines Unternehmensgebäudes mit der steuerfreien (entgeltlichen) Grundstücksvermietung im deutschen Umsatzsteuerrecht beruht auf der schon von Popitz (Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3. Auflage 1928, 380) entwickelten sog. Fiktionstheorie. Die Nutzung von Räumen in Unternehmensgebäuden zu eigenen Wohnzwecken wurde bisher als stets nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreier Eigenverbrauch ("Vermietung an sich selbst") beurteilt; die Möglichkeit einer Option nach § 9 UStG war nicht gegeben. Zur Neuregelung ab dem 01.01.2011 (Wegfall der "Seeling-Gestaltungen") vgl. die Kommentierung zu § 15.
TIPP
Diese bis dahin ständige deutsche Praxis war nach der Vorabentscheidung nicht richtlinienkonform und musste aufgegeben werden (vgl. Abschn. 24c Abs. 7 UStR 2008). Die Steuerbefreiung entgeltlicher Umsätze führt damit nicht zwangsläufig auch zur Steuerbefreiung entsprechender unentgeltlicher Umsätze!