Dr. Josef Baumüller, Astrid Leben
Rz. 1
ESRS S1 adressiert Offenlegungspflichten zu den "Arbeitskräften des Unternehmens": Dabei handelt es sich um eine bedeutende Gruppe der "betroffenen Interessenträger" (ESRS S1.12), die darüber hinaus als "häufig" angeführte Kategorie von Stakeholdern in ESRS 1 genannt wird (ESRS 1.AR6). Den Begriff "Arbeitskräfte des Unternehmens" fasst ESRS S1 breit und subsumiert darunter zwei Belegschaftsgruppen: zum einen Personen, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen stehen ("Arbeitnehmer"), zum anderen "Fremdarbeitskräfte", darunter sind primär Selbstständige sowie Arbeitskräfte mit Zeitarbeitsverträgen zu verstehen (ESRS S1.4). Der Standard fordert, dass das Unternehmen die Beschäftigtenstruktur und damit die wesentlichen Merkmale der "Arbeitnehmer" und der im Unternehmen tätigen "Fremdarbeitskräfte" beschreibt (ESRS S1.6). EFRAG IG 2 spezifiziert dazu: "Definitions used in ESRS S1 Own workforce and S2 Workers in the value chain focus on the contractual arrangements between the workers and the undertaking" – das Konzept der "operational control" spielt in diesem Zusammenhang also keine Rolle.
Rz. 2
Zu den beiden zu berücksichtigenden Beschäftigtenkategorien "Arbeitnehmer" und "Fremdarbeitskräfte" ist näher differenziert festzuhalten:
- "Arbeitnehmer" sind Einzelpersonen, die mit dem Unternehmen in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, das den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten entspricht.
- Unter ""Fremdarbeitskräften" des Unternehmens werden zwei weitere Subkategorien unterschieden: Eine Gruppe umfasst Auftragnehmer, die mit dem Unternehmen einen Vertrag über die Erbringung von Arbeitsleistungen geschlossen haben ("Selbstständige"), zur anderen Gruppe zählen Personen, die von Unternehmen bereitgestellt werden, die primär gem. NACE Code N78 im Bereich "Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften" tätig sind, sprich Zeitarbeitskräfte. Näher erläutert werden "Fremdarbeitskräfte" in ESRS S1.AR3, dort werden Beispiele für "Fremdarbeitskräfte", die unter die Arbeitskräfte des Unternehmens fallen, angeführt. Gemeint sind mit "Selbstständigen" nur Einzelpersonen, die ihre persönliche Arbeitskraft selbstständig anbieten, ob i. R. e. Werkvertrags oder Zeitvertrags. Nicht gemeint sind demgegenüber echte (Klein-)Unternehmen, die im Auftrag des berichtenden Unternehmens tätig werden. Ein mögliches Abgrenzungskriterium wäre, inwiefern über die Arbeitskraft hinaus auch Anlagegüter vom Auftragnehmer eingesetzt werden, z. B. ein eigener Lkw.
Die EFRAG verweist im Zusammenhang mit der Abgrenzung von "Arbeitnehmern" und "Fremdarbeitskräften" in den Q&A auf nationale arbeitsrechtliche Bestimmungen und begründet dies damit, dass keine einheitliche Definition des Begriffs "Arbeitnehmer" nach europäischem Recht vorliegt und daher der Status als Arbeitnehmer auf Ebene nationaler Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten bestimmt wird.
Resümieren lässt sich demnach: Beide Kategorien von Arbeitskräften, "Arbeitnehmer" und "Fremdarbeitskräfte", werden zwar vom berichtspflichtigen Unternehmen angewiesen, allerdings unterliegen "Fremdarbeitskräfte" keiner unmittelbar vergleichbaren direkten Kontrolle des berichtspflichtigen Unternehmens.
Die soeben dargestellten Definitionen von "Arbeitnehmern" und "Fremdarbeitskräften" führen in manchen Kontexten zu praktischen Anwendungsproblemen. Im Zusammenhang mit der Bereitstellung bzw. dem Einsatz von Zeitarbeitskräften lassen sich diese Definitionen nämlich so verstehen, dass dieselben Arbeitnehmer doppelt als "Arbeitskräfte des Unternehmens" gem. ESRS S1 zu erfassen sind: einmal in der Nachhaltigkeitserklärung des Zeitarbeitskräfte-Vermittlers und einmal in der Nachhaltigkeitserklärung jenes Unternehmens, das diese Zeitarbeitskräfte beschäftigt. Aus Sicht des Vermittlers wäre eine Abbildung gem. ESRS S2 mitunter sachgerechter, da sich die Arbeitnehmer i. d. R. seiner direkten Steuerung entziehen und damit die maßgeblichen Nachhaltigkeitsaspekte nicht oder nur zu einem geringen Teil beeinflussen lassen; diese Abbildung gem. ESRS S2 scheidet aber i. d. R. aus der Definition von "Arbeitskräften in der Wertschöpfungskette" aus, solange bereits eine Erfassung als "Arbeitskräfte des Unternehmens" gem. ESRS S1 zu erfolgen hat.
Eine sachgerechte Lösung ist es u. E., diese Arbeitnehmer zwar gem. ESRS S1 zu erfassen, dort aber gesondert zu behandeln – die bei der Wesentlichkeitsanalyse zu würdigenden Nachhaltigkeitsaspekte decken sich ohnehin. Die Angaben zu Konzepten, Maßnahmen und Zielen haben entsprechend auf die Besonderheiten dieser Kategorie von Arbeitnehmern Bedacht zu nehmen; bei den meisten Kennzahlen gem. ESRS S1 wird eine Berücksichtigung unter Relevanz-Gesichtspunkten gem. ESRS 1 unterbleiben können oder sogar müssen (§ 3 Rz 99 f.). Stattdessen kann eine Aufnahme unternehmensspezifischer Kennzahlen geboten sein. Das so erzielte Ergebnis wird faktisch einer Berichterstattung gem. ESRS S2 gleichkommen.
Rz. 3
Ein berichtspflichtiges Unternehmen hat in ...