Julius Hansen, Ann-Kathrin Langefeld
Rz. 3
Ein ESG-Rating beabsichtigt i. d. R. eine holistische, d. h. integrierte soziale, ökologische und auf die Governance bezogene Beurteilung des Unternehmens. Die ökonomische Perspektive wird indes vorwiegend in klassischen Finanz-Ratings eingenommen, die auf die Bonitätsbewertung der Emittenten abzielen (von den ESG-Ratings separiert).
Rz. 4
Das primäre Ziel von ESG-Rating-Agenturen ist es, durch die Auswertung von ESG-bezogenen Unternehmensdaten (vorwiegend basierend auf öffentlich verfügbaren Quellen, aber auch in dieser Hinsicht variieren die Ansätze der Anbieter) sowohl eine absolute, unternehmensindividuelle Nachhaltigkeitsbewertung zu ermitteln als auch eine relative Nachhaltigkeitsposition von Unternehmen, etwa im Branchen- oder Länderkontext, zu bestimmen. Hierbei sind häufig Produkte sowie Managementsysteme und -prozesse Gegenstand des Ratings. Die Informationsbereitstellung seitens der bewerteten Unternehmen wird bspw. durch folgende Ansätze unterstützt: Audits, betriebliche Umweltinformationssysteme, Bilanzen, Label sowie Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagementsysteme.
Rating-Agenturen entwickeln zu diesem Zweck eigenständige Erhebungssysteme, d. h. auf Paradigmen der Nachhaltigkeit oder Corporate Social Responsibility (CSR) ausgerichtete Messkonzepte und Beurteilungsverfahren. Hierbei ist zwischen aktiven und passiven Ratings zu unterscheiden. Einige ESG-Ratings (z. B. EcoVadis; Rz 10) erfordern eine aktive Beteiligung von den Unternehmen und teilw. auch eine Teilnahmegebühr. So müssen Unternehmen bei aktiven ESG-Ratings Dokumente zur Verfügung stellen und in vielen Fällen Rating-spezifische Fragebögen befüllen. Anderen Ratings liegt eine rein passive Bewertung zugrunde, bei der die Rating-Agenturen lediglich auf frei verfügbare Informationen über das entsprechende Unternehmen zugreifen. Dies führt zu einer Diversifizierung in der Zugänglichkeit und Relevanz der Ratings für verschiedene Unternehmenstypen. Im "Rate the Raters"-Bericht für das Jahr 2023, welcher auf einer umfassenden Umfrage zur Qualität und Nützlichkeit von ESG-Ratings basiert, wurden diese beiden Kriterien besonders für aktive ESG-Ratings höher bewertet als für passive.
Rz. 5
Das Rating als eine Methode zur Einstufung von Sachverhalten bezeichnet das Ergebnis eines Beurteilungsvorgangs. Das Ergebnis ist eine, entsprechend der zugrunde liegenden ordinalen Rating-Skala, als Symbol, Zeichen oder Zeichenfolge ausgedrückte "Zensur". Die ESG-Ratings liefern den Stakeholdern in aggregierter Form eine Einschätzung der unternehmerischen Nachhaltigkeitsleistung und erfüllen somit eine Transparenzfunktion. Es wird also das Ziel verfolgt, durch die Ermittlung und Kommunikation von "einfachen" (Global-)Indikatoren, Stakeholder in ihren jeweiligen Entscheidungssituationen zu unterstützen. Das bewertete Unternehmen ist dabei das Rating-Objekt.
Rz. 6
Die Bewertungssysteme innerhalb der ESG-Ratings sind aufgrund heterogener Definitionen von Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich und spiegeln die Individualität der einzelnen Rating-Anbieter wider. Diese Heterogenität bzgl. Ansatz und Methodik bildet letztlich auch einen der zentralen Kritikpunkte, der immer wieder vorgebracht wird, und ist ein Grund für die geplante Regulierung im Bereich der ESG-Ratings (Rz 17 ff.).
Rz. 7
In den letzten Jahren hat der Einfluss von ESG-Ratings auf Investitionsentscheidungen kontinuierlich zugenommen. So erfüllen ESG-Ratings und ESG-Indizes z. B. lt. Deutsche Börse Group "eine wichtige Informationsfunktion in Markt und Wettbewerb". Die Gründe für eine aktive Rating-Beteiligung aus Sicht der bewerteten Unternehmen sind vielfältig:
Verbesserung der Finanzierungsbedingungen:
Inzwischen setzen sich auch CFOs und Finanzverantwortliche immer intensiver mit ESG-Ratings auseinander. Dies hängt stark mit einem neuen Finanzierungsinstrument zusammen, das Einzug in den Markt für grüne Finanzierungen gehalten hat: sog. ESG- bzw. Sustainability-Linked Loans (§ 14). Bei diesen Krediten sind die Finanzierungskosten an die ESG-Performance des Unternehmens gekoppelt. Zur Messung der Performance werden entweder ESG-Ratings herangezogen oder alternativ unternehmensindividuelle KPIs. Verbessert sich die (Rating-)Performance, sinken die Kosten und umgekehrt. Zudem gilt, dass Investoren ihre Investitionsstrategien sowie ihre Einschätzungen zu Investitionsrisiken mittlerweile stark an ESG-Kriterien binden, in die sie über ESG-Ratings Einblick erlangen.
Periodizität von ESG-Ratings:
Die Rating-Agenturen führen ihre Beurteilungsverfahren in turnusmäßigen Abständen, vorwiegend jährlich, durch und sind damit einhergehend eine präsente Größe in unternehmerischen Planungs- und Entscheidungsprozessen. Die Unternehmen haben sich auf die vorgegebenen Zyklen einzustellen, wenn sie verhindern wollen, dass sie von einem Rating nicht erfasst werden. Für börsennotierte Emittenten spielen bspw. die regelmäßig durchgeführten Ratings zur Aufnahme in einschlägige Nachhaltigkeitsindizes, wie z....