Dr. Jens Freiberg, Matthias Hrinkow
Rz. 84
Hinsichtlich des Informationscharakteristikums der Relevanz ist insbes. auf die Wesentlichkeit der Information für die Nutzer der Nachhaltigkeitserklärung abzustellen. Gem. ESRS 1.QC1 wird Nachhaltigkeitsinformation u. a. dann als relevant eingestuft, wenn diese in einem Unterschied in der Nutzerentscheidung – vor dem Hintergrund der doppelten Wesentlichkeit – münden könnte. Hierfür maßgeblich ist die Wesentlichkeitsanalyse, welcher ebendieses Prinzip der doppelten Wesentlichkeit zugrunde liegt (ESRS 1.14; § 3 Rz 16). Folglich kann die Wesentlichkeit eines Nachhaltigkeitsaspekts aus einer Auswirkungsperspektive und/oder aus einer finanziellen Perspektive resultieren (ESRS 1.38). Im Zusammenhang mit dem Begriff der Wesentlichkeit betreffend innerhalb des (Konzern-)Lageberichts veröffentlichter Information wird grds. auf die Erlangung eines Verständnisses des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens und dessen voraussichtliche Entwicklung abgestellt. Des Weiteren wird gem. dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit die Erlangung eines Verständnisses der Auswirkungen der Geschäftstätigkeiten des Unternehmens zu berücksichtigen sein. Hiermit kongruent stellt auch der Prüfstandard ISSA 5000 im Zuge der Evaluierung der Relevanz anzuwendender Kriterien auf u. a. den Informationsbedarf der Nutzer der Nachhaltigkeitsberichterstattung in Abhängigkeit folgender Aspekte ab:
- Auswirkung von Nachhaltigkeitsbelangen auf das Unternehmen,
- Auswirkung des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsbelange,
- Kombination aus den beiden vorherig aufgeführten Auswirkungen.
Rz. 85
Im Zuge der kritischen Würdigung durch den Prüfer der in ESRS 2 (§ 4) festgelegten prozessualen Vorgehensweise der Wesentlichkeitsanalyse wird insbes. auch auf die Abdeckung der in ESRS 1.AR16 aufgeführten Nachhaltigkeitsbelangliste, welche im Zuge der Wesentlichkeitsanalyse des Unternehmens zu berücksichtigen ist, ein besonderer Fokus zu legen sein. Ebenso zu würdigen sein werden die bei der Wesentlichkeitsanalyse seitens des Unternehmens gesetzten quantitativen und/oder qualitativen Schwellenwerte (ESRS 1.42; ESRS 1.45; ESRS 1.AR9(c); § 3 Rz 75 und 79).
Rz. 86
Auch lt. CEAOB sollte die Prüfung insbes. den Prozess würdigen, den das Unternehmen durchgeführt hat, um Informationen zu identifizieren, die in die Nachhaltigkeitserklärung mitaufzunehmen sind. Insbes. ist mithilfe von geeigneten Prüfungshandlungen zu beurteilen, ob die Beschreibung des Prozesses in der Nachhaltigkeitserklärung mit dem implementierten Prozess übereinstimmt sowie ob der Prozess die Vorschriften der ESRS erfüllt. Bei der Konzeption der Prüfungshandlungen sind die qualitativen Merkmale der Informationen gem. den ESRS zu berücksichtigen: Die Angaben müssen (gem. dem Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit) relevant sein und den Inhalt der Sachverhalte getreu darstellen, indem sie vollständig, neutral und genau sind.
Rz. 87
Im Prozess der Erarbeitung des Prüfstandard ISSA 5000 kam es zur Entscheidung seitens des IAASB, einen zweiteiligen Ansatz betreffend Wesentlichkeitsüberlegungen im Prozess der Planung und Durchführung von Prüfungen zuzulassen. Dieser Ansatz beinhaltet, dass Prüfende die Wesentlichkeit quantitativer Nachhaltigkeitsinformation festzustellen haben, jedoch die Wesentlichkeit qualitativer Nachhaltigkeitsinformation lediglich zu berücksichtigen ist. Als einer der Beweggründe für diese Entscheidung wird die Impraktikabilität für Prüfer, die Wesentlichkeit von sowohl quantitativer als auch qualitativer Nachhaltigkeitsinformation festzustellen, hervorgehoben. Ferner führten Überlegungen hinsichtlich des mit quantitativen Angaben verbundenen Aggregationsrisikos dazu, dass ISSA 5000 – basierend auf der Definition i. S. d. ISAE 3410 – die verpflichtende Festlegung einer Toleranzwesentlichkeit ("performance materiality") für quantitative Offenlegungsinhalte seitens des Prüfers vorsieht.
Rz. 88
Des Weiteren hervorzuheben ist insbes. die Differenzierung zwischen dem Prozess der Wesentlichkeitsanalyse zum einen und zum anderen der seitens des Prüfers zu berücksichtigenden bzw. festzustellenden Wesentlichkeit. Letztere bezieht sich auf einen hinsichtlich der Entscheidungsrelevanz für Berichtsnutzer definierten Schwellenwert, welcher seitens des Prüfers i. V. m. identifizierten Falschdarstellungen herangezogen wird. Hierbei stets zu beachten ist das der Feststellung bzw. Berücksichtigung von Wesentlichkeit inhärente pflichtgemäße Ermessen des Prüfers.
Rz. 89
Quantitative Faktoren im Zusammenhang mit der Feststellung der Wesentlichkeit durch den Prüfer beziehen sich auf die Relation des Ausmaßes der Falschdarstellungen zu jener Offenlegung, die entweder in Zahlenform dargestellt ist oder anderweitig mit numerischen Werten in Verbindung steht. Ein Beispiel für Letzteres wäre eine Beschreibung innerhalb der Nachhaltigkeitserklärung, dass die seitens des Unternehmens implementierten Kontrollprozesse effektiv sind. Als vom Prüfer in diesem...