Prof. Dr. Kerstin Lopatta, Anna Rafaela Rudolf
Rz. 1
ESRS E4 adressiert Angabepflichten zu biologischer Vielfalt und Ökosystemen (biodiversity and ecosystems), was von besonderer Bedeutung ist, da nahezu die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) stark von einer intakten biologischen Vielfalt und gesunden Ökosystemen abhängt. Es ist jedoch festzustellen, dass zahlreiche wirtschaftliche Aktivitäten Ökosysteme beanspruchen und sich negativ auf die biologische Vielfalt auswirken. Diese Erkenntnisse sind nicht nur von Belang auf EU-Ebene, sondern finden auch internationale Unterstützung, insbes. durch die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES). ESRS E4 selbst definiert biodiversity/biological diversity als "die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Süßwasser-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologische Komplexe, zu denen sie gehören" (ESRS E4.3), was der Definition der IPBES entspricht. Die Definition eines Ökosystems ist im Glossar enthalten: "Ein komplexes dynamisches Wirkungsgefüge von Pflanzen-, Tier- und Mikroorganismengemeinschaften und ihrer abiotischen Umwelt, die eine funktionelle Einheit bilden." Hinsichtlich der Klassifizierung der verschiedenen Ökosysteme verweist das Glossar auf die Global Ecosystem Typology 2.0 der International Union for Conservation of Nature (IUCN).
Rz. 2
ESRS E4 schließt in den Berichtsumfang insbes. die direkten Hauptfaktoren (oder auch Treiber) mit ein, die zu Biodiversitätsverlust bzw. der Veränderung von Biodiversität und Ökosystemen beitragen. Diese umfassen nach dem ESRS E4 Klimawandel, Verschmutzung, Veränderungen der Land-, der Wasser- und der Meeresnutzung, Nutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie invasive nicht heimische Arten. Die Einbeziehung dieser Hauptfaktoren folgt aus der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD), welche eine modifizierte Auflistung angelehnt an den IPBES-Bericht verwendet. Durch diese umfassende Betrachtungsweise bestehen Anknüpfungspunkte mit weiteren Umweltstandards, die zu berücksichtigen sind: ESRS E1 ("Klimawandel"; § 6), ESRS E2 ("Umweltverschmutzung"; § 7), ESRS E3 ("Wasser- und Meeresressourcen"; § 8), ESRS E5 ("Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft"; § 10), sofern eine Abhängigkeit des Zustands der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme von diesen Faktoren gegeben ist. Abb. 1 zeigt die Wirkmechanismen auf. ESRS E1 befasst sich insbes. mit Emissionen und der Nutzung von Energieressourcen. ESRS E2 behandelt die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden, wobei ESRS E5 die Vermeidung der Verschmutzung durch Abfälle berücksichtigt. Die Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen wird in ESRS E3 behandelt. Darüber hinaus behandelt ESRS E5 die Verringerung der Nutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen mit dem Übergang zum Verzicht auf nicht erneuerbare Ressourcen. Zusätzlich sind Berührungspunkte mit ESRS S3 ("Betroffene Gemeinschaften"; § 14) zu berücksichtigen, da wesentliche negative Auswirkungen auf betroffene Gemeinschaften durch Veränderungen der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme induziert werden können.
Abb. 1: ESRS E4 Verknüpfungen mit anderen ESRS-Umweltstandards
Rz. 3
ESRS E4 hat zum Ziel, dass ein berichtspflichtiges Unternehmen die folgenden Aspekte darstellt:
Rz. 4
Zu allen in Rz 3 genannten Aspekten enthält ESRS E4 aktuell Angabepflichten. Allerdings sind in den einzelnen Angabepflichten etliche Freiräume enthalten, z. B. in den zu berichtenden Kennzahlen zur Messung der implementierten Maßnahmen (Rz 43), was der Komplexität der zugrunde liegenden Thematik geschulde...