Dipl.-Kffr. Andrea Kämmler-Burrak, Dr. Mathias Onischka
Darüber hinaus wird der Umsetzungsaufwand auch von der Anzahl der für das eigene Unternehmen wesentlichen Aspekte sowie wesentlichen Offenlegungsanforderungen bestimmt. Entscheidend ist hier also der Aspekt der Wesentlichkeit. Damit gemeint ist die Abgrenzung, welche Nachhaltigkeitsthemen für ein Unternehmen wichtig und damit berichtspflichtig sind oder nicht.
Zu beachten ist, dass die ESRS verpflichtende Berichtsinhalte vorsehen, die also unabhängig von einer Wesentlichkeitsanalyse offenzulegen sind. Diese betreffen Offenlegungsanforderungen zu ESRS 2, zu ESRS E1, Offenlegungsanforderungen zu ESRS S1 (S1-1-S1.9) sowie im Appendix C definierte Datenpunkte aufgrund von EU-Recht.
Die darüberhinausgehenden Offenlegungspflichten sind von den Unternehmen durch eine Wesentlichkeitsbetrachtung zu bestimmen. Hier können zwei verschiedene Ebenen differenziert werden:
- Wesentlichkeitsbetrachtung – Ebene "Standards/Aspekte" ("Topical Level"): Auf der 1. Ebene handelt es sich im Grunde um die in der Reportingpraxis etablierte Wesentlichkeitsanalyse von Nachhaltigkeitsthemen auf der Makroebene. Diese kann, darf und sollte auch fortgeführt werden, ist allerdings im Sinne der doppelten Wesentlichkeit so anzupassen, dass sie die beiden Dimensionen Impact (Inside-Out-Perspektive) und Financial (Outside-In-Perspektive) entsprechend des ESRS 1 abdeckt. Die Schwelle, ab wann ein Aspekt wesentlich wird, kann – wie bisher – unternehmensindividuell bestimmt werden, ist aber einheitlich zu nutzen.
- Wesentlichkeitsbetrachtung – Ebene "Offenlegungsanforderungen" ("Disclosure Requirement/Datapoint Level"): Sind die wesentlichen ESRS Standards/Aspekte identifiziert, gilt es auf Ebene der sog. Disclosure Requirements bzw. Offenlegungsanforderungen die Wesentlichkeit zu prüfen. Die hohe Anzahl der Offenlegungsanforderungen der ESRS – mehr als 180 quantitative sowie 920 qualitative – legen nahe, dass nicht jedes Datum und jede Information für jedes Unternehmen passt, auch wenn der jeweilige Aspekt über die Wesentlichkeitsanalyse als relevant eingestuft wurde. Daher dürfen unpassende oder irrelevante Offenlegungsanforderungen aussortiert werden, sofern deren Erhebung in keinem sinnvollen Aufwand-Nutzen-Verhältnis steht. Diese Wesentlichkeitsprüfung ist hier eher als Attribut "geeignet "oder für die Unternehmensaktivitäten "passend "zu verstehen. Das bedeutet aber auch, dass man, anders als beim üblichen Report-or-Explain-Ansatz, Informationen nicht deshalb weglassen darf, weil bspw. im Unternehmen noch keine Daten vorliegen oder es für weniger wichtig einschätzt.
Diese beiden Wesentlichkeitsbetrachtungen bilden den Startpunkt der CSRD-Berichterstattung. Die Perspektive der doppelten Wesentlichkeit zieht sich dann im weiteren Verlauf aber auch weiter durch die im Vorfeld bestimmten ESRS Standards und Disclosure Requirements auf Ebene der sog. IROs – der Impacts, Risks and Opportunities.
Wesentlichkeitsbetrachtung – Ebene "Chancen und Risiken":
Die systematische Identifikation, Bewertung und Management von Chancen und Risiken zieht sich wie ein roter Faden durch alle themenspezifischen ESRS. Die Identifikation und Bewertung, welche Risiken und Chancen als wesentlich einzustufen sind, ist hier im Rahmen des Risikomanagementprozesses vorzunehmen – idealerweise integriert in das bestehende finanzielle Risikomanagement. Der Prozess sowie die Ergebnisse finden dann im Reporting als konkrete Offenlegungsanforderungen Berücksichtigung. Die Ergebnisse fliesen zudem als Input in die Wesentlichkeitsanalyse auf Ebene der Aspekte ein, so dass hier ein Zirkelschluss entsteht. Es gilt hierbei zu beachten, dass gemäß ESRS das Risikomanagement kein Teil der Wesentlichkeitsanalyse ist, sondern vorgelagert.
Die Wesentlichkeitsbetrachtung im Rahmen der CSRD bzw. der ESRS findet somit – anders als beispielsweise im GRI – auf mehreren Ebenen statt. Diese stehen in den ESRS zwar räumlich beieinander, sind aber inhaltlich nicht direkt verknüpft. Dies sollte von Anfang an klar herausgestellt werden. Bei einer Vermengung besteht hohes Fehlerpotenzial, was die Implementierung unnötig verkompliziert.
Es ist absehbar, dass nach diesem dreistufigen Durchsieben eine "Zweiklassengesellschaft" entsteht. Unternehmen mit geringer Komplexität, also einem oder wenigen Produktkategorien, Geschäftsmodellen oder Standorten werden den Berichtsumfang stark einschränken können. Die CSRD wird dann zwar mit Zusatzaufwand verbunden sein, aber insgesamt "machbarer" sein. Dem entgegen werden große bzw. komplexere Unternehmen vermutlich alle sektorübergreifenden ESRS-Standards und fast alle darin enthalten Offenlegungspflichten erfüllen müssen. Ein Grund: An den EU-Umweltzielen und damit den Themen wie Wasser, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft der EU kommt kaum ein großes oder komplexes Unternehmen vorbei. Für diese Unternehmen stellt sich die Frage, wie eine Reduktion des Implementierungs- und Regelprozessaufwands überhaupt möglich wird. Die Antwort liegt hier eine Ebene tiefer, nämlich in den...