Prof. Guido Grunwald, Prof. Jürgen Schwill
Weil Unternehmen freiwilliges Engagement für die mit Lieferketten zusammenhängenden Problembereiche mehrheitlich vermissen lassen, stellte sich die Frage nach der Schaffung gesetzlicher Verbindlichkeiten. Als Antwort ist am 11.6.2021 das "Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG)" vom Deutschen Bundestag beschlossen worden; die Billigung im Bundesrat erfolgte am 25.6.2021 und die Verkündung im Bundesgesetzblatt am 22.7.2021.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – häufig kurz Lieferkettengesetz genannt – verpflichtet
- ab 1.1.2023 für in Deutschland ansässige Unternehmen und Unternehmen mit einer Zweigniederlassung ab 3.000 Beschäftigten und
- ab 1.1.2024 Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten,
ihrer Verantwortung in der Lieferkette nachzukommen, und zwar in Bezug auf international anerkannte Menschenrechte und bestimmte Umweltstandards. Die betroffenen Unternehmen haben dabei folgende Sorgfaltspflichten zu berücksichtigen:
- "Einrichtung eines Risikomanagements und Durchführung einer Risikoanalyse
- Verabschiedung einer Grundsatzerklärung der unternehmerischen Menschenrechtsstrategie
- Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern
- Sofortige Ergreifung von Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Rechtsverstößen
- Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens im Falle von Rechtsverstößen
- Dokumentations- und Berichtspflicht für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten"
Die Erfüllung dieser Sorgfaltspflichten trägt somit zur Stärkung der Menschenrechte in den Lieferketten bei. Umweltschutzaspekte spielen – so einer der geäußerten Kritikpunkte – im Lieferkettengesetz eine nur unzureichende Rolle. So werden etwa globale umweltbezogene Risiken wie das massive Artensterben, die Erderhitzung oder großflächige Waldzerstörung nicht berücksichtigt.
5.2.1 Getrennte Betrachtung von sozialen und ökologischen Aspekten
Die getrennte Betrachtung von sozialen und ökologischen Aspekten gerade in Lieferketten erscheint dabei nicht unproblematisch. So wird in einer Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung explizit die Verankerung von Nachhaltigkeit und Menschenrechten in globalen Lieferketten empfohlen. Eine getrennte Regelung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Pflichten wäre insofern wenig zielführend, da schädliche Umweltauswirkungen oft auch mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen (z. B. Abbau von Rohstoffen und Rodung von Flächen in Entwicklungsländern unter schlechten Arbeitsbedingungen). Da zudem für die Übernahme von sozialen und ökologischen Pflichten in der Unternehmenspraxis prinzipiell vergleichbare Managementprozesse angewandt werden können bzw. verantwortlich sind, wäre auch aus diesem Grund eine gemeinsame Regelung sinnvoll. Dass beide Themen gemäß einer aktuellen Studie der Generaldirektion für Justiz und Verbraucherschutz der EU-Kommission oft getrennt in "Silos" behandelt werden, ist problematisch und wäre zu überdenken.
5.2.2 Kritische Stimmen zum (nationalen) Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Wenngleich einzelne Unternehmen die mit dem Lieferkettengesetz verbundenen Verpflichtungen auch zu begrüßen scheinen, z. B. Vaude, Ritter Sport oder Tchibo, gibt es auch Stimmen, die verpflichtende Vorschriften für Unternehmen ablehnen. So befürchten Kritiker u. a. bei rein nationalen Lösungen Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen. Zudem erwarten sie kostenintensive Maßnahmen, wenn in Unternehmen zur Überprüfung der vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten Risikoanalysen, Präventionsmaßnahmen oder umfangreiche Dokumentations- und Berichtspflichten zu ergreifen sind. Sofern die zusätzlichen Kosten auf die Preise abgewälzt werden, dürfte es zu einer Benachteiligung deutscher Unternehmen im internationalen Preiswettbewerb kommen.
Doch auch bei einer EU-weiten oder internationalen Regelung erwarten Gegner eines Lieferkettengesetzes Wettbewerbsnachteile. Als Grund wird die deutsche Wirtschaftsstruktur angeführt, die zum großen Teil durch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) geprägt ist. KMU können jedoch kostenintensive Maßnahmen weniger gut kompensieren als große Unternehmen. Das wiederum kann eine Verkürzung von Lieferketten zur Folge haben, wenn sich einzelne Unternehmen aus "Risikogebieten" zurückziehen und – sofern alternative, etwa regionale Beschaffungsquellen verfügbar sind – sich nicht mehr von dort ansässigen Akteuren beliefern lassen. V. a. in Entwicklungsländern sind dann Arbeitsplatzverluste, der Anstieg von Armut oder der Rückgang von Wissenstransfer zu erwarten.