Zusammenfassung
Die meisten Menschen haben sie noch im Ohr: Die ständigen, fast penetranten Aufforderungen der Großeltern. Mach das Licht aus, schließe die Tür, lass das Fenster nicht so lange auf. Das erschien schon damals kleinlich, ja übertrieben. Bei aller Notwendigkeit, auf den Energieverbrauch und dessen Kosten zu achten, konnten mit diesem Verhalten doch allenfalls Centbeträge eingespart werden. Ein Verhalten, dass einer scheinbar längst vergangenen Zeit entsprang. Eines aber sollte nicht vergessen werden: Unsere Großeltern haben in der Kriegs- und Nachkriegszeit genau das erlebt, was uns bevorstehen könnte: Die Knappheit von Geld und Energie. Sollten wir deren Hinweise vor diesem Hintergrund nicht doch beherzigen? Im Privat- wie Berufsleben?
Damit stellt sich eine altbekannte, bereits in der Antike diskutierte Frage neu: wie viele Körner ergeben einen Haufen? Führen viele unscheinbare Handlungen insgesamt zu einem wahrnehmbaren Unterschied? Im folgenden Beitrag werden Antworten entwickelt.
1 Vorgaben des Ressourcenverbrauchs
"Durchs Geldausgeben ist noch keiner reich geworden". Diese Aussage wird Theo Albrecht zugesprochen, der als Mitgründer von Aldi aus bescheidenen Anfängen zu einem der reichsten Deutschen wurde. Viele Anekdoten handeln davon, wie er inkognito seine Läden besuchte und penibel nach jeder Einsparmöglichkeit suchte. Ein solches Verhalten erscheint heute aus der Zeit gefallen, Energie war reichlich und preiswert vorhanden, womit es schlicht unwirtschaftlich erschien, den letzten Cent über Extramühen einzusparen. Ebenso antiquiert wirkt es, wenn Menschen kleinteiliges Verhalten vorgeschrieben, ja selbst nur empfohlen wird, wie der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann erfahren musste, als er den Einsatz eines Waschlappens anstelle einer Dusche empfahl.
Vergleichbare Fragen stellen sich der Unternehmensleitung, dem Controlling und der Nachhaltigkeitsabteilung. Längst wird dem Ressourcenverbrauch hohe Aufmerksamkeit gewidmet, Verbräuche optimiert und nachgehalten. Weitere, kurzfristig wirksame Maßnahmen liegen meistens nur noch im Verhalten des Einzelnen, womit der Bogen zu den angesprochenen Ratschlägen der Großeltern geschlagen wird. Kann und soll aber ein solcher Ansatz im Betrieb umgesetzt werden? Sollen Mitarbeitende sanktioniert werden, welche die Temperatur am Arbeitsplatz 0,8 Grad über der Vorgabe halten? Kann mittels einer Stoppuhr kontrolliert werden, wie lange das Licht im Büro brennt, wenn der Mitarbeitende dieses kurzzeitig verlässt? Steht jemand neben der Hallentür und fordert zum unmittelbaren Schließen auf, wenn ein Lkw eingefahren ist? Wer soll diese Vorgaben kontrollieren? Macht sich der Controller mit einer Stoppuhr auf den Weg? Versteckt sich der Nachhaltigkeitsmanager im Hintergrund und dokumentiert mittels Wärmebildaufzeichnungen mögliches Fehlverhalten?
Ist ein Arbeitgeber das solche Vorgaben macht, nicht übergriffig? Werden erwachsene Menschen nicht infantilisiert? Die Mitarbeitenden fragen sich bei aller Relevanz des Ressourcenverbrauchs, ob ihr Verhalten, ihre Verhaltensänderung, wirklich einen Unterschied ausmacht, einen nennenswerten, messbaren Beitrag leistet, um den Ressourcenverbrauch zu senken.
Damit stellt sich eine altbekannte, bereits in der Antike diskutierte Frage neu: Wie viele Körner ergeben einen Haufen? Führen viele unscheinbare Handlungen insgesamt zu einem wahrnehmbaren Unterschied? Das Nachhaltigkeitsmanagement kann und soll diese Frage aufwerfen. Im weiteren Beitrag werden Antworten entwickelt.
2 Sorites-Paradoxie: Wann wird aus einem Nichthaufen ein Haufen?
Wann wird aus einem Nichthaufen ein Haufen? Nicht wenn einem Gerstenkorn ein Zweites hinzugefügt wird, auch nicht, wenn ein Drittes hinzukommt. Irgendwann aber ist es so weit, ein Haufen besteht. Dennoch kann niemand eine exakte Zahl von Gerstenkörnern benennen, ab denen ein Haufen vorliegt. Diese Frage bewegt seit der Antike als sog. Sorites-Paradoxie die Menschen. Eines vorneweg: Es gibt keine einfache Lösung.
Dennoch ist die Frage von großer Bedeutung für jeden Menschen, für jedes Unternehmen, für jede Gemeinschaft. Ganz konkret beim Ressourcenverbrauch. Nur weil eine Lampe 2 Minuten länger brennt, das Firmenfahrzeug an der Ampel nicht ausgeschaltet wird, die Außentür zum Lager nicht sofort geschlossen wird, wird der Energieverbrauch kaum messbar ansteigen, die Umwelt nicht nachweislich geschädigt, die Kosten kaum erhöht. Wenn sich alle Menschen so verhalten jedoch mit Sicherheit. Wo jedoch die Grenze liegt, an der aus dem Gerstenkorn ein Haufen wird, bleibt unklar. In einem größeren Maßstab stellt sich die Frage für die Gesellschaft, in welcher Welt wollen, in welcher Welt werden wir leben? Ein einzelnes Haus im Landschaftsschutzgebiet verändert weder dessen Charakter noch die Schutzwürdigkeit. Ebenso wenig ein zweites oder ein drittes, irgendwann aber wird aus dem Nichthaufen ein Haufen, das Gebiet ist nicht mehr schützenswert. Ein Flug in den Urlaub verändert nicht das Klima, der Flugverkehr aber...