Sustainable Pricing: Was kostet die Welt?
Penny hat das Experiment gewagt: Im Sommer vergangenen Jahres wurden bei der Preisfestsetzung von neun ausgewählten Produkten für einen Kampagnenzeitraum von einer Woche auch soziale und ökologische Auswirkungen berücksichtigt. Das Ergebnis: Die Produkte wurden deutlich teurer, denn der Verkaufspreis spiegelte nun auch Folgekosten durch Belastungen der Lebensmittelproduktion auf Klima, Wasser, Boden und Gesundheit wider. Wiener Würstchen kosteten plötzlich 6,01 Euro statt 3,19 Euro.
„Wahre Preise“: Ein Versuch, viel Kritik
Die „wahren Preise“ – so hieß die Aktion – wurden von der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg berechnet. Bei den Verbraucher:innen kam die Kampagne im Vorfeld nicht besonders gut an. In einer unmittelbar zuvor durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben nur 16 Prozent der Befragten an, Produkte zu den „wahren Kosten“ kaufen zu wollen. 44 Prozent wollten sie in den Regalen stehen lassen. Die tatsächlichen Ergebnisse sind noch nicht kommuniziert, die wissenschaftliche Auswertung steht noch aus und wird Anfang 2024 erwartet.
Kritik kam indes von allen Seiten: Während Penny an Umsatz verlor, kritisierten einige, dass gezielt tierische Lebensmittel diskriminiert wurden, andere kritisierten Penny und sprachen von Greenwashing. Und die Konsument:innen hielten ihr knappes Geld zusammen. Das Experiment zeigt das große Dilemma, das in nachhaltigem Pricing steckt. Preis, Produkt, Nachhaltigkeit und Kaufbereitschaft unter einen Hut zu bringen, ist äußerst schwierig – und ein längerer Prozess.
Versand, Transport und Verpackung nachhaltig kalkulieren
Nachhaltigkeit im Pricing geht im weitesten Sinne über ökologische Aspekte hinaus und umfasst auch soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Die Herausforderung besteht darin, die angebotenen Waren nicht zu Ladenhütern zu machen, weil ihr (nachhaltiger) Preis zu hoch ist.
Es gibt einige Möglichkeiten, sich über den Preis seiner Produkte oder Dienstleistungen als nachhaltiges Unternehmen zu positionieren: Beispielsweise sind CO2-Kompensationen denkbar, die entweder eingepreist oder als Zusatz-Kosten ausgewiesen sind. „Eine Abgabe für CO2-Kompensation ist vor allem als freiwillige Option sinnvoll“, sagt Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung Köln (IFH). Im Falle eines solchen Opt-Ins können Käufer:innen nämlich frei entscheiden, was ihnen Umweltfreundlichkeit wert ist. Allerdings wird diese Option nach Einschätzung des Experten nur selten genutzt. Und auch kostenpflichtige Retouren werden von Unternehmen verwendet, um als nachhaltiger Anbieter wahrgenommen zu werden, der mit den Umweltbelastungen durch Transport- und Verpackung verantwortungsbewusst umgeht.
Manche Händler bieten unterschiedlich umweltfreundliche Formen der Verpackung und des Versandes zu unterschiedlichen Preisen an – beispielsweise kann eine langsamere Lieferung ökologisch tendenziell sinnvoller sein als eine schnelle, da Fahrten in diesem Fall besser zusammengefasst werden. Doch solches Pricing unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist auch eine Gratwanderung. „Preisdifferenzierungen aus Nachhaltigkeitsgründen müssen stets zur Marke passen und authentisch wirken“, betont Hudetz. Ist dies nicht der Fall, könnten dem Experten zufolge Konsument:innen das Bemühen um Nachhaltigkeit missverstehen und als Kostensenkung zur Profitabilität interpretieren.
Die Zahlungsbereitschaft steigt …
Sowohl das geänderte Verbraucherbewusstsein als auch regulatorische Vorgaben sorgen dafür, dass Sustainable Pricing von Unternehmen zunehmend als ein Instrument gesehen wird, um Produkte möglichst klimaneutral zu vermarkten oder sogar auf nachhaltige Produkte umzustellen. Ein geringer CO2-Fußabdruck und Nachhaltigkeit im Wirken werden schließlich zum Wettbewerbsfaktor und Imageträger eines Unternehmens. Das betrifft nicht nur die angebotenen Produkte und Dienstleistungen, dazu gehört am Ende des Tages auch das passende Pricing.
„Unternehmen müssen eine Balance finden, schrittweise ihre Produkte hinsichtlich des Einflusses auf Klima, Umwelt und Soziales zu verbessern sowie die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden für nachhaltige Produkte zu verstehen und diese wertbasiert zu monetarisieren“, sagt Immanuel Pahlke, Head of Pricing & Revenue Management bei dem europäischen Beratungsunternehmen d-fine. Verschiedene Studien belegen, dass die Bereitschaft der Verbraucher, mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen, über alle Regionen, Einkommensniveaus und Kategorien hinweg stetig wächst. „Das ist eine wichtige Entwicklung, die auch von den Unternehmen aufgegriffen und weiter unterstützt werden sollte“, rät Pahlke.
… aber es braucht transparente Preise
Der Experte empfiehlt Firmen eine offene und transparente Preispolitik nach außen, um nachvollziehen zu können, welche Kostenstellen und Wertbeiträge sich im Gesamtpreis widerspiegeln. „Kombiniert mit dem Ansatz des nachhaltigen, wertbasierten Vertriebs – in dem insbesondere auch die Vorteile für Umwelt und Soziales nachweislich aufgezeigt werden – wird das Kundenverständnis für den tatsächlichen Wert und entsprechenden Preis eines Produktes gefördert“, sagt Pahlke und verweist als wegweisende Beispiele auf Ansätze aus der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion wie das „True Cost Accounting“ und die „Regionalwert-Leistungsrechnung“.
Mit dem True-Cost-Ansatz werden die „wahren Kosten“ der Lebensmittelproduktion ermittelt, indem man die verursachten gesamtgesellschaftlichen Kosten berücksichtigt, inklusive der Folgeschäden für Umwelt und Gesundheit. Durch eine Regionalwert-Leistungsrechnung wird sichtbar, welchen ökologischen und sozialen Nutzen ein landwirtschaftliches Unternehmen für die Gesellschaft erbringt. Solche Ansätze helfen, Kosten und Nutzen einer nachhaltigen Produktion messbar zu machen und transparent darzustellen.
Sustainability Pricing stufenweise umstellen
Um eine nachhaltige Preisstrategie operativ umzusetzen, braucht es jedoch Zeit, eine solide Datenbasis und Fingerspitzengefühl. „Die Umstellung auf ein ‚Sustainability Pricing & Selling‘ sollte stufenweise und entlang eines langfristigen Zielbilds mit vorgeschalteten Pilotphasen erfolgen, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden und extreme Marktreaktionen zu vermeiden“, rät Pahlke. Der Experte geht davon aus, dass Lösungen zur automatisierten Marktbetrachtung und zur intelligenten Simulation der Marktreaktionen auf Preisanpassungen entscheidend sein werden. „Darüber hinaus ist ein tiefes Verständnis über die Kundensegmente, deren Bedarfe und Preissensitivitäten wichtig“, betont Pahlke.
Das notwendige Verständnis erhält man heutzutage auf unterschiedlichen Wegen. Zum einen können qualitative Methoden wie Markttests und Panelerhebungen genutzt werden. Zum anderen lässt sich das Kunden-Verständnis vermehrt datenbasiert – auch mithilfe von Künstlicher Intelligenz – erschließen. Entsprechende Lösungen sind im Markt bereits vorhanden. Wer in seinem Unternehmen Sustainability Pricing jetzt auf die Agenda setzt, unterstreicht damit nicht nur die eigenen Nachhaltigkeitsbemühungen, sondern kann damit auch die Entwicklung hin zu einem nachhaltigen Konsumentenverhalten unterstützen.
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