Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Auch und gerade wenn in einem Betrieb keine Vorsorgen anstehen (oder Angebotsvorsorgen nur schleppend wahrgenommen werden), gibt es doch Bedarf an individueller medizinischer Beratung – manchmal mehr, als die Betriebe und ihre Beschäftigten selbst wahrnehmen.
Typische Anlässe für individuelle Beratung sind v. a. individuelle Erkrankungen und der damit ggf. verbundene Maßnahmenbedarf, z. B. im Rahmen des Betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements oder von Rückkehrergesprächen. Manchmal wenden sich auch Vorgesetzte an den Betriebsarzt und fragen um Rat, wenn ein Mitarbeiter Auffälligkeiten am Arbeitsplatz zeigt, die möglicherweise gesundheitliche Ursachen oder Folgen haben können.
Eher selten suchen Beschäftigte aus eigener Initiative Kontakt zum Betriebsarzt. Eine "offene Sprechstunde", also ein vorher bestimmter Zeitraum, an dem der Betriebsarzt sich in einem Raum im Betrieb aufhält, für die per Aushang geworben wird, wird meist kaum angenommen. Individueller Beratungsbedarf hält sich nicht an langfristige Terminplanung und wer aktuell kein Problem bei sich sieht, bei dem der Betriebsarzt weiterhelfen könnte, wird eine solche Sprechstunde auch nicht nutzen. Zudem ist ein Angebot, das wohlmeinend einer breiten betrieblichen Öffentlichkeit präsentiert wird, für Menschen mit wirklich drängenden persönlichen Problemen (z. B. Suchterkrankungen) zu wenig diskret.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass alle mit Arbeitsschutzfragen befassten Mitarbeiter eines Betriebs (neben Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften auch Führungskräfte, Sicherheitsbeauftragte, Arbeitnehmervertreter und sonstige Vertrauenspersonen) darüber informiert sind, dass
- ein Betriebsarzt auch individuell in vielen arbeitsplatzbezogenen Gesundheitsfragen ansprechbar ist,
- dass dafür keine bestimmten Kriterien erfüllt sein müssen und
- unmittelbar keine Kosten für den Arbeitgeber entstehen.
Es sollte auch bekannt sein, wie der Betriebsarzt unbürokratisch zu erreichen ist, auch wenn er nur selten im Haus anzutreffen ist, damit die Schwelle für eine individuelle Beratung nicht zu hoch wird.
Im Zweifel den Betriebsarzt fragen!
Wann ist der Betriebsarzt wirklich zuständig, was darf man ihn fragen und wer darf das? Der Betriebsarzt hat im Gesundheitswesen tatsächlich eine genau zugewiesene Rolle, die sich von der Rolle der in der Patientenversorgung tätigen Kollegen deutlich unterscheidet. Das führt häufig dazu, dass viel zu wenig daran gedacht wird, den Betriebsarzt bei im Betrieb anstehenden gesundheitlichen Fragestellungen einzubeziehen.
Ein guter Betriebsarzt wird für alle Fragen jedoch erst mal ein offenes Ohr haben und kann, wenn er nicht zuständig sein sollte, immer noch entsprechend weiterverweisen. Je intensiver der Kontakt zum Betriebsarzt ist, desto gezielter und effizienter kann er seiner Rolle gerecht werden. Deshalb: fragen kostet nichts!
Aber: Ein Beschäftigter kann i. d. R. nicht gezwungen werden, den Betriebsarzt zu Beratungszwecken aufzusuchen. Eine Mitwirkungspflicht besteht lediglich im Rahmen von Pflichtvorsorgen und Einstellungs- bzw. Eignungsuntersuchungen, wenn bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sind.
Ärztliche Schweigepflicht
Die ärztliche Schweigepflicht gilt vollumfänglich auch für die Betriebsärzte. Wenn sie den Arbeitgeber in Bezug auf die Einsatzmöglichkeiten eines bestimmten Mitarbeiters beraten, wie das z. B. im Rahmen von BEM-Verfahren (Betriebliches Eingliederungsmanagement), bei der Durchführung von Eignungsuntersuchungen oder in anderen Einzelfallberatungen der Fall ist, dann darf der Betriebsarzt nur seine Einschätzung dahingehend weitergeben, ob bzw. unter welchen Bedingungen der Betroffene tätig werden kann – nicht, welche gesundheitlichen Ursachen dahinter stehen. Ausnahmen gibt es hier nur, wenn der Betroffene den Betriebsarzt ausdrücklich (schriftlich) von der Schweigepflicht entbindet.
Seit dem Inkrafttreten der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) werden bei Vorsorgen dem Arbeitgeber ohnehin keine Aussagen über die gesundheitliche Eignung des Beschäftigten mehr weitergegeben. Hat der Betriebsarzt im Rahmen einer Vorsorge Bedenken gegen eine Fortführung der Tätigkeit, teilt er diese nur dem Beschäftigten mit – es sein denn, dass in sehr seltenen Ausnahmefällen eine dringende Selbst- oder Fremdgefährdung erwartet werden muss.
Was der Betriebsarzt NICHT macht
Diagnosen stellen und behandeln
Ein Betriebsarzt ist grundsätzlich nicht kurativ, also in der Behandlung von Patienten tätig. Er stellt (auch im Rahmen von Vorsorgen) keine Diagnosen und gibt keine Medikamente aus. Im Einzelfall kann es Ausnahmen geben, die rechtskonform mit den Regelungen im Gesundheitswesen bzgl. ärztlicher Behandlung abgestimmt sein müssen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Betriebsarzt gleichzeitig in einer betriebseigenen Notfallambulanz tätig ist.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen überprüfen
Wenn Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit einer Arbeitsunfähigkeit eines Beschäftigten bestehen, ist das ei...