Change-Management wird meist optimistisch definiert als Summe aller Bemühungen, dem unvermeidlichen Wandel eine positive Richtung zu geben. Diese positive Grundhaltung ist für Änderungspozesse unverzichtbar - ansonsten würden sie wohl nur unter enormen Zwängen stattfinden.
Die Ausgangslage ist ebenso eindeutig wie entmutigend: "Mehr als 70 % aller Change-Projekte versanden, nur wenige gehen mit Getöse unter. Dass das in der Praxis und in der Fülle der normativ-optimistischen Change-Literatur nicht sichtbarer wird, hat auch damit zu tun, dass die wenigsten Change-Projekte evaluiert werden - so wenig wie Projekte externer Berater ..." (Ernst, 2010). Dennoch, so Moldaschl (2010) weiter, würden immer wieder kostenträchtige Änderungsprozesse ohne Change-Controlling aufgelegt bzw. ohne dass verfügbare Evaluationsergebnisse dabei berücksichtigt werden. Er vergleicht diese Entwicklung mit dem Betrunkenen, der seinen Schlüssel unter der Laterne sucht, weil er hier besser sehen kann, obwohl er ihn woanders verloren hat.
Definition: Change-Controlling zielt auf die Zeit-, Ergebnis- und Kostenplanung sowie Kontrolle der Veränderungsprojekte, ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen. Es zwingt zur eindeutigen Formulierung der Ziele, zur Präzisierung und Operationalisierung von Maßnahmen und prüft die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Veränderungsprozesse. |
Neben dem hohen ökonomischen Schaden und dem Verlust an Lebenszeit der Beteiligten gibt es noch weitere fatale Nebeneffekte. Scheitern führt nicht nur zu einer Stabilisierung des bisherigen Verhaltens. Negative Erfahrungen dieser Art reduzieren die Bereitschaft, sich erneut auf Veränderungsprojekte einzulassen in der Erwartung, dass am Ende doch alles so bleibt, wie es war und sie vergrößern das Misstrauen gegenüber Management-"Moden", mit denen solche Prozesse vielfach begründet werden.
Es kann sich auch auf künftige Lern- und Veränderungsanforderungen negativ auswirken, indem die Beteiligten sich z. B. erst gar nicht mehr ernsthaft auf Neuerungen einlassen, in der Erwartung, dass am Ende doch alles so bleibt, wie es war. Und weil meist auf eine Evaluation verzichtet wird, können aus dem Scheitern auch nicht die notwendigen Schlüsse für künftige Vorhaben gezogen werden.
Tipp: Überlegen Sie, ... |
- welche Personen bei bisherigen Änderungsprojekten Beteiligte und Betroffene waren, wie mit den Argumenten von Skeptikern und Gegnern umgegangen wurde und wie sich das langfristig auswirkte.
- wie Sie bei früheren Änderungsprojekten den Erfolg eingeschätzt haben und welche Schlüsse Sie daraus für kommende Projekte ziehen sollten.
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Auch von einer anderen Seite sind Change-Projekte oder -Prozesse gefährdet: Missionarische Erneuerer neigen nicht selten dazu, zögerliche Kolleginnen und Kollegen abzuwerten und sie damit in eine Verteidigungsposition zu drängen. Bedenkenträger leiden ihrer Meinung nach unter "Innerer Kündigung" oder "Entfremdung" und machen "Dienst nach Vorschrift" (vgl. Feldmann, 2000). Widerstand wird als Blockade aus Angst, Scheu vor Neuem oder als fehlende Einsicht in die Chancen und Dringlichkeit der Veränderung gedeutet (vgl. Schumacher et. al, 2006; Kotter, 1995). Radikale Protagonisten bezeichnen es gar als "Zynismus" (vgl. Nerlich, 2008), wenn man Führungskräften nicht traut, Änderungen nicht bedingungslos herbeisehnt und Wasser in den Wein der Visionäre gießt. Solche Deutungen zeigen, dass sie in Gefahr geraten, sich an ihren Handlungszielen zu berauschen und die Nebenwirkungen zu ignorieren. Sie indoktrinieren mit dem Versprechen von Ergebnissen, bei denen alle nur gewinnen (Win-Win-Situationen), und lassen die Risiken unbeachtet. Würden sie diese vorab gründlich reflektieren, wären eine naive Change-Euphorie (Strohfeuer) und das Risiko schneller Enttäuschungen zu verhindern.
So ist z. B. derzeit das Benchmarking von Schulen in Mode. Unter günstigen Umständen kann Benchmarking tatsächlich zu einem heilsamen Qualitätswettbewerb führen. Die Erfahrung zeigt aber, dass - anders als beabsichtigt - die Evaluationsergebnisse am Ende auch zu einer Ressourcenzuteilung führen können, die die Ungleichheit der Schulen noch verstärkt. Manche Schulen werden auch dazu verführt, statt ihre Qualität zu verbessern, nur die schwächsten Schülerinnen und Schüler "loszuwerden", um den Durchschnitt zu verbessern.
Definition: Benchmarking (= Maßstäbe setzen) bezeichnet einen systematischen und kontinuierlichen Leistungsvergleich hinsichtlich Kosten, Strukturen, Prozessen etc. zwischen mehreren Schulen oder Teilbereichen innerhalb einer Schule. Ziel ist, aus dem Vergleich mit anderen zu lernen und Möglichkeiten der Qualitätsverbesserung sowie erforderliche Bedingungen zu ermitteln. |
Abbildung 11.2: Reaktionstypen in Change-Projekten und ihre Häufigkeit
Deswegen möchten wir an dieser Stelle noch einmal den Wert des Zweifelns betonen (s. Kap. 5.2.2) und ergänzen: "Ein Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten." (Am-bros Bierce, nac...