Die effektive Prävention von Übergriffen auf Einsatzkräfte der Rettungsdienste und der Feuerwehr erfordert ein strukturiertes und ineinandergreifendes Vorgehen. Der Schaffung von Strukturen in den Rettungsdiensten und der Feuerwehr und dem Setzen konkreter Ziele, muss eine Analyse folgen auf deren Grundlage eine Bewertung der Ist-Situation stattfindet und die Ableitung des weiteren Handlungsbedarfs erfolgt.
Das "Aachener Modell zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz" basiert auf der Erkenntnis, dass den jeweiligen Formen der Gewalt am Arbeitsplatz mit geeigneten und verhältnismäßigen Mitteln begegnet werden muss.
Mit anderen Worten: Verbale Attacken erfordern andere Strategien als ein Angriff mit Waffen.
Das "Aachener Modell zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz mit Publikumsverkehr" trägt diesem Umstand Rechnung und strukturiert mit seinem stufenartigen Aufbau das komplexe Thema. Es stellt einen Leitfaden dar, mit dessen Hilfe eine vorausschauende Sicherheits- und Notfallorganisation entwickelt werden kann. Das Stufenmodell unterstützt alle am Lösungsprozess beteiligten Akteure und ermöglicht
- Gefährdungsstufen zu erkennen und zu bewerten,
- Lösungsmöglichkeiten, Handlungsempfehlungen und Verhaltensweisen für bedrohliche Situationen abzuleiten und
- betriebliche Voraussetzungen für ein sicheres und gewaltfreies Tätigwerden der Einsatzsatzkräfte
zu schaffen.
Gemäß dem Aachener Modell lassen sich grundsätzlich vier Gefährdungsstufen unterscheiden:
Abb. 3 Die vier Gefährdungsstufen des Aachener Modells
Die Häufigkeit der Ereignisse von Stufe 0 zur Stufe 3 hin nimmt deutlich ab. Spätestens ab Gefährdungsstufe "2" muss gelten: Die Sicherheit / Konfliktlösung muss von der Polizei sichergestellt werden. In vielen Fällen wird auch bei Szenarien, die der Stufe "1" zuzuordnen sind, bereits die Polizei benötigt werden. Damit eine Deeskalation stattfinden kann, sollten einheitliche Verfahren/Absprachen mit der Polizei festgelegt werden, damit jede Ersatzkraft weiß, wie sie zu handeln hat.
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung können Sie nun für Ihre Organisation bzw. Feuerwehr den einzelnen Gefährdungsstufen Präventionsmaßnahmen zuordnen.
Empfehlenswerte Präventionsmaßnahmen sind in Abbildung 4 aufgeführt:
Abb. 4 Präventionsmaßnahme für Einsatzkräfte gemäß den Gefährdungsstufen des Aachener Modells
|
Durchschuss- und Durchstich-hemmende Schutzwesten für Einsatzkräfte? |
Immer wieder erreichen die Unfallversicherungsträger Anfragen, ob das standardmäßige Mitführen/Tragen von Durchschuss- und Durchstich-hemmenden Schutzwesten (kurz: Schutzwesten) im Rettungsdienst empfohlen wird oder gar notwendig ist. Hierzu ist festzustellen, dass ein standardmäßiges Mitführen/Tragen von solchen Schutzwesten im Rettungsdienst grundsätzlich nicht zielführend ist. Hierfür sprechen mehrere Gründe:
- Einsatzkräfte des Rettungsdienstes werden durch das Tragen von Schutzwesten von potentiellen Angreifern oftmals dem Bereich der Ordnungskräfte (z. B. Polizei, Sicherheitsdienst) zugeordnet. Sie werden somit zum bevorzugten Ziel von Übergriffen.
- Das Tragen von Schutzwesten suggeriert in der Regel ein subjektives (falsches) Gefühl von Sicherheit. Das kann die Einsatzkraft dazu verleiten, in Konfliktsituationen eher offensiv zu reagieren, anstatt sich z. B. frühzeitig aus einer Bedrohungslage zurückzuziehen.
- Nicht jede Art von Schutzweste schützt gleichermaßen. Es gibt erhebliche Unterschiede im Schutzniveau in Bezug auf die Art der Tatwaffe (z. B. Kaliber der Schusswaffe, Art der Stichwaffe). Es gilt: Je höher der Schutz, desto schwerer die Schutzweste.
- Schutzwesten bieten keinerlei Schutz bei Angriffen mit Schuss- oder Stichwaffen die gegen den Kopf, den Hals, die Extremitäten und den Unterleib geführt werden. Das Risiko auch beim Tragen einer Schutzweste bei einem Angriff mit einer Schuss- oder Stichwaffe schwer oder gar tödlich verletzt zu werden, ist weiterhin erheblich.
- Schutzwesten können je nach Bauart, Hersteller oder Schutzniveau durchaus schwer sein und damit die Bewegungsfreiheit und körperlichen Handlungsmöglichkeiten einschränken. Bei warmer Witterung erhöhen sie die Gefahr eines Hitzestaus im Körperstamm. Das dauerhafte Tragen von belastender PSA stellt zusätzlich einen nicht unerheblichen psychischen Belastungsfaktor dar.
Entscheidend für die Auswahl, Bereitstellung und Anwendung der notwendigen Schutzmaßnahmen (in der Reihenfolge: technische vor organisatorischen vor personenbezogen Maßnahmen) ist jedoch letztendlich das Ergebnis der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung des Unternehmers bzw. der Unternehmerin. |