Dr. rer. nat. Kirsten Sucker
Einheit des Messwertes beachten
Um Missverständnisse und Fehlinterpretationen bei der Kommunikation über Grenz- oder Richtwerte zu vermeiden, ist unbedingt auf die Einheit des Messwertes zu achten. Grenz- oder Richtwerte werden häufig in mg/m3 angegeben, Messwerte dagegen oft in der Einheit ppm (parts per million). Die Einheit ppm gibt die Anzahl der Teile pro 1 Mio. Teile an und ist gleichbedeutend mit der Schreibweise 1 ml/m3 oder 1 mg/kg. Für die Umrechnung von ppm in eine andere Einheit (z. B. mg/m3 oder µg/m3) ist die Kenntnis der Stoffdaten und der Bezugsgrößen notwendig.
4.1 Arbeitsplatzgrenzwerte (TRGS 900)
Am Arbeitsplatz wird der Schutz vor gesundheitlichen Gefährdungen durch Gefahrstoffe mithilfe von Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) nach § 2 Abs. 8 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) geregelt. Der AGW gibt an, bis zu welcher Konzentration eines Stoffes in der Luft akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen nicht zu erwarten sind. Arbeitsplatzgrenzwerte sind Schichtmittelwerte bei i. d. R. täglich 8-stündiger Exposition an 5 Tagen pro Woche während der Lebensarbeitszeit. Expositionsspitzen während einer Schicht werden mit Kurzzeitwerten beurteilt.
4.2 Richtwerte, Leitwerte und Referenzwerte
Zur Beurteilung chemischer Verunreinigungen in der Innenraumluft können 3 Bewertungskonzepte herangezogen werden: Richtwerte, Leitwerte und Referenzwerte. Diese sind zwar nicht wie ein AGW rechtlich verbindlich, können aber in Form von Gutachten oder im Vollzug (z. B. Baurecht) juristisch relevant sein.
Als Innenräume gelten gemäß der Definition des Sachverständigenrates für Umweltfragen Wohnungen und Arbeitsräume (z. B. Büros, Schulen, Kitas) in Gebäuden, die im Hinblick auf gefährliche Stoffe nicht dem Geltungsbereich der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) unterliegen, sowie öffentliche Gebäude (z. B. Gaststätten, Kinos) und die Fahrgasträume von Kraftfahrzeugen und allen öffentlichen Verkehrsmitteln.
Zu beachten ist, dass für den Vergleich mit Richtwerten Messungen unter Nutzungsbedingungen durchzuführen sind, d. h., bei denen die Lüftungsempfehlungen von Anhang 3.6 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) berücksichtigt wurden. Das bedeutet, dass die Messung nach einer vorangegangenen intensiven Lüftung (3 Minuten im Winter und bis zu 10 Minuten im Sommer) durchgeführt wird. Anschließend werden die Fenster und Türen geschlossen. Die Messung erfolgt anschließend nach einer Stunde. Nur dann ist eine Interpretation im Hinblick auf eine gesundheitliche Gefährdung zulässig. Für den Vergleich mit Referenzwerten sind Messungen unter Ausgleichsbedingungen durchzuführen. Dazu werden die Räume zunächst gründlich gelüftet und anschließend mindestens 8 Stunden lang (z. B. über Nacht) verschlossen. Die Messung erfolgt dann im ungelüfteten Raum. Hier ist das Ziel eine Worst-Case-Betrachtung und dient i. d. R. dazu, Informationen über mögliche Quellen zu erhalten. Eine Interpretation im Hinblick auf eine gesundheitliche Gefährdung ist nicht zulässig.
4.2.1 Innenraum-Richtwerte (RW I und RW II)
Richtwert I (RW I) gilt als Vorsorgewert und beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bis zu der auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Eine Überschreitung stellt eine unerwünschte Belastung dar und sollte aus Gründen der Vorsorge mit geeigneten Maßnahmen beseitigt werden.
Richtwert II (RW II) gilt als Gefahrenwert und beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, ab der insbesondere empfindliche Personen bei dauerhaftem Aufenthalt einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind. Bei Erreichen oder Überschreitung sollte unverzüglich gehandelt werden. Die Vorgehensweise bei der Erarbeitung eines RW II ist vergleichbar mit der Erarbeitung eines AGW. In beiden Fällen werden alle verfügbaren toxikologischen und epidemiologischen Erkenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes umfassend geprüft.
Warum sind Arbeitsplatzgrenzwerte oft wesentlich höher als Innenraumrichtwerte?
In einem Büroraum wird die Belastung der Luft mit Naphthalin, z. B. durch Ausdünstungen aus teerhaltigen Bodenaufbauten, wie eine Wohnraumbelastung betrachtet und nicht wie eine Belastung am Arbeitsplatz [AGW 2 mg/m3 (2018); RW II 0,03 mg/m³, RW I 0,01 mg/m³ (2013)].
Ein wesentlicher Unterschied besteht im Zeit- und im Personenbezug.
Bei der Festlegung eines Arbeitsplatzgrenzwertes wird von einer i. d. R. 8-stündigen Exposition an 5 Tagen in der Woche während der Lebensarbeitszeit (ca. 40 Jahre) ausgegangen. Arbeitsplatzgrenzwerte gelten für Arbeitende, also i. d. R. für gesunde Erwachsene, an Industriearbeitsplätzen und im Handwerk, bei denen aufgrund der Verwendung oder Erzeugung bestimmter Arbeitsstoffe eine erhöhte Belastung zu erwarten ist. Arbeitende, die berufsbedingt Gefahrstoffen ausgesetzt sind, erhalten eine arbeitsmedizinische Betreuung und befinden sich somit unter einer strengeren Beobachtung als die Allgemeinbevölkerung.
Bei der Erarbeitung von Innenraum-Richtwerten werden auch besonders empfindliche Personen, wie Kinder, Schwangere, alte Menschen oder Mens...