Entscheidungsstichwort (Thema)

Alkohol. Straßenverkehr. Mofa. fremdes verkehrswidriges Verhalten als wesentliche Unfallursache

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Beurteilung der Ursächlichkeit einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit für einen Unfall ist im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht unbedingt die hypothetische Feststellung erforderlich, ob ein Nüchterner bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Wenn im naturwissenschaftlich philosophischen Sinne eine weitere Mitbedingung des Unfalls erwiesen ist, hat ohne diese hypothetische Feststellung eine wertende Abwägung beider Faktoren zu erfolgen, um über ihre Wesentlichkeit für den Unfall zu entscheiden (Anschluß an BSG E 18, 101 ff.).

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 1, § 589

 

Verfahrensgang

SG Darmstadt (Urteil vom 13.01.1977; Aktenzeichen S 1/U - 4/75)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Januar 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenleistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Kläger sind die Witwe bzw. die Waisen des im Jahre 1934 geborenen und am 26. August 1974 tödlich verunglückten K. P. (P.). P. war als Lastkraftwagenfahrer bei der Firma K. AG, Filiale M., zum Zwecke der Möbelauslieferung beschäftigt. Am Montag, dem 26. August 1974, beendete er nach der förmlichen Unfallanzeige des Unternehmers vom 29. August 1974 um 18.35 h seine Arbeit und fuhr von der Betriebsstätte in M. mit einem Fahrrad mit Hilfsmotor (Mofa) auf der Bundesstraße (B.) in Richtung seiner Familienwohnung in L.. Er wurde von dem 23-jährigen M. N. (N.) begleitet, der auf einem zweiten Mofa links neben ihm fuhr. Nachdem P. eine Wegstrecke von ungefähr 5 km zurückgelegt hatte, kam er zu Fall und wurde von einem überholenden Lastkraftwagen, der aus einer Zugmaschine und einem Aufleger bestand, (Lkw) überfahren. Durch die dabei erlittene Schädelzertrümmerung trat sofort der Tod ein.

Aus den vor ihr beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft gegen den Lkw-Fahrer und gegen N. ersah die Beklagte, daß das der Leiche des P. entnommene Blut um 20.45 h eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,68 ‰ aufwies. Außerdem war den Aussagen des Lkw-Fahrers und seines Beifahrers sowie einem Gutachten des Kraftfahrzeugsachverständigen K. vom 4. September 1974 zu entnehmen, daß P. und N. in Schlangenlinien nebeneinander gefahren waren, P. rechts und N. in der Straßenmitte. Als den Lkw zum Überholen angesetzt hatte, rief der rief der Beifahrer durchs offene Fenster des Führerhauses, sie sollten hintereinander fahren. N. ordnete sich darauf nach rechts von P. ein. Das Hinterrad des von N. gefahrenen Mofas und das Vorderrad des von P. gefahrenen kamen dabei in eine streifende Berührung. Anschließend stürzte nach links auf die Fahrbahn.

Aufgrund dessen lehnte es die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Dezember 1974 ab, den Klägern Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, der Zusammenhang mit dem Unternehmen und damit auch der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung sei durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des P. aufgehoben gewesen. Diese Fahruntüchtigkeit sei rechtlich die allein wesentliche Ursache des Unfalls. Ohne sie hätte sich P. auf das Überholmanöver des N. einstellen und einer Kollision ausweichen können.

Gegen diesen am 4. Dezember 1974 zur Post gegebenen Bescheid haben die Kläger am 3. Januar 1975 Klage beim Sozialgericht Darmstadt (SG) erhoben. Am 2. April 1976 hat das Amtsgericht Michelstadt das Strafverfahren gegen den Lastkraftwagenfahrer gem. § 153 a StPO vorläufig eingestellt und N. wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger alkoholbedingter Verkehrsgefährdung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monates, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt (Az.: 6 Ls 66/75). Auf die Berufung des N. hat das Landgericht Darmstadt am 4. November 1976 auch das Verfahren gegen N. gem. § 153 a StPO vorläufig eingestellt.

Nach Beiziehung der Strafakten des Landgerichts Darmstadt gegen N. hat das SG die Beklagte mit Urteil vom 13. Januar 1977 unter Abänderung des Bescheides vom 4. Dezember 1974 verurteilt, aus Anlaß des Unfalls des Ehemannes der Klägerin zu 1) vom 26. August 1976 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Es ist davon ausgegangen, die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des P. sei nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen. Auch die Fahrweise des Sattelzuges und die des N. seien als wesentliche Mitbedingungen dieses Unfalls anzusehen.

Gegen dieses ihr am 28. Januar 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Februar 1977 die zugelassene Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Im Berufungsverfahren sind die Strafakten des Landgerichts Darmstadt gegen N. beigezogen, beglaubigte Fotokopien von den wesentlichen Teilen angefertigt u...

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