Erfolgreiches BGM in Krisenzeiten
Bei Auffälligkeiten liefert eine Mitarbeiterbefragung Daten für eine vertiefende Ursachenanalyse, auf deren Basis konkrete Empfehlungen für Maßnahmen abgeleitet werden können. Gleichzeitig dient sie der Ergebnissicherung und unterstützt im fortlaufenden Prozess bei der Darstellung von Veränderungen.
Mitarbeiterbefragungen im Rahmen des BGM
Durch eine anonyme Mitarbeiterbefragung können neben den klassischen Gefährdungen auch gezielt Fehlbelastungen durch moderne Arbeitsbedingungen (Belastung 4.0) identifiziert werden. Mit einem (vergleichsweise) geringeren Aufwand und einem zeit- und ortsflexiblen Einsatz können alle Mitarbeiter einbezogen werden. Hinzu kommt, dass die Befragung in der Regel als einziges Instrument anonymisierte Informationen zu weichen Faktoren liefert und die digitale Datenerfassung in der heutigen Zeit so weit fortgeschritten ist, dass auch diese leichter, häufiger und kosteneffizient zu erfassen sind. Zu den weichen Faktoren zählen u.a.
- Arbeitszufriedenheit,
- Gesundheit/Wohlbefinden,
- Führungsverhalten/-bewertung,
- Unternehmenskultur,
- Mitarbeiterbindung,
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Beobachtung dieser Faktoren ist aus Sicht von Stephanie Gieringer und weiterer BGM-Experten sogar zwingend notwendig, da mittlerweile hinreichend bekannt ist, dass der Krankenstand in seiner Komplexität nur schwer (direkt) beeinflussbar ist. Eine Mitarbeiterbefragung findet in diesem Zusammenhang mögliche Ursachen für hohe Krankenstände oder eine reduzierte Qualität der Arbeitsleistung. Sie konzentriert sich dabei zunächst auf die subjektive Erfassung der Arbeitssituation (Belastung) und deren unmittelbaren, kurz- und langfristigen Folgen (Beanspruchung).
Dabei ermöglicht die Mitarbeiterbefragung einen diagnostischen Blick von innen heraus – aus Sicht der Mitarbeiter. Gemäß der DIN ISO 45001 „Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ stellt dieser partizipative Ansatz einen wesentlichen Erfolgsfaktor im BGM dar. Der Steuerkreis als alleinige Beteiligungsoption ist nicht mehr zeitgemäß. Er entscheidet jedoch weiterhin darüber, welche Partizipationsform zum Einsatz kommt.
Neben der grundlegenden Erfassung vielschichtiger Belastungen, Ressourcen und weicher Faktoren sind weitere Differenzierungen möglich, z.B. nach Arbeitsbereichen, Alter, Führungsspanne. So kann die Mitarbeiterbefragung auch als eine Art Frühwarnsystem eingesetzt werden, deren Ergebnis das Erkennen von Handlungs- und Gestaltungsoptionen für ein erfolgreiches BGM ist.
Das Instrument unterstützt dabei nicht nur bei der Einführung eines BGM durch Informationen zur Ausgangssituation, sondern auch wiederkehrend, im fortlaufenden Prozess. Regelmäßig angewandt dient eine Mitarbeiterbefragung der Ergebnissicherung, zeigt Entwicklungen bzw. Trendverläufe auf und unterstützt dabei, den Erfolg eines BGM zu stabilisieren bzw. zu verbessern. Ganz im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP).
Die Vorteile von Mitarbeiterbefragungen
Die Vorteile liegen auf der Hand: Bei einer schriftlichen oder Online-Befragung kann zum selben Zeitpunkt eine größere Gruppe (eine Teilgruppe oder alle Mitglieder einer Organisation) befragt werden. So ist diese Methode, im Verhältnis zur Reichweite anderer Methoden, wie z.B. der Beobachtung durch eine Arbeitsplatzbegehung oder eine Workshopreihe, mit einem geringeren Zeitaufwand und weniger Kosten verbunden. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass eine Mitarbeiterbefragung idealerweise immer in Kombination mit einem oder mehreren anderen Instrumenten zum Einsatz kommen sollte, um das volle Potenzial der Organisationsdiagnostik auszuschöpfen.
Je nach Unternehmensgröße kann eine Befragung die folgenden, gängigen Analysetools ergänzen: Fehlzeitenstatistik und Strukturanalysen, Berichte der Krankenkassen, Beobachtungen/Begehungen, Einzelinterviews und moderierte Workshops.
Über den digitalen Weg werden insbesondere diejenigen Mitarbeiter gut erreicht, die nur noch bedingt vor Ort sind und überwiegend mobil, z.B. im Homeoffice, arbeiten. Die Papierform hat wiederum den Vorteil, dass auch Mitarbeiter ohne Zugang zu Computern oder mobilen Endgeräten eingebunden werden können, wie dies beispielsweise im gewerblichen Bereich oftmals der Fall ist. Die Online-Variante gewinnt in Zeiten rasanter Digitalisierungsprozesse an Attraktivität. Allerdings müssen Anonymität und Datenschutz berücksichtigt werden. Es muss sichergestellt werden, dass keine Rückverfolgung auf einzelne Personen möglich ist. Ist dies nicht der Fall, bietet sich als Alternative eine Grobanalyse mithilfe von Workshopreihen (auch Gesundheitszirkel genannt) oder Einzelgesprächen an, die ebenfalls in digitaler Form abgebildet werden können.
Zusammenfassend ergeben sich drei Zielrichtungen für eine Mitarbeiterbefragung im BGM:
- Bestandsaufnahme und Bedarfserhebung,
- Organisationsentwicklung,
- Veränderungsmessung.
Gesundheitsmodelle
Zu den allgemeinen Grundregeln einer qualitätsorientierten Befragung gehört, dass das eingesetzte Instrument theoretisch fundiert, gültig (valide) und zuverlässig (reliabel) ist. Bei der Entwicklung eines Fragebogens durch BGM-Verantwortliche und/oder externe Berater können daher geeignete Wirkungsmodelle und die Suche nach bereits vorhandenen Standardfragebögen hilfreich sein. Sie liefern Antworten auf die Fragen nach dem „Wie und Warum“, denn das Zusammenspiel von Umwelt und Person ist sehr komplex.
Ein bekanntes Modell, welches im Kontext der Arbeitswelt gerne eingesetzt wird, ist z.B. das Variablen-Modell von Locke und Latham (1990). Ein weiteres Modell, welches sich ebenfalls sehr gut eignet, ist das Bielefelder Unternehmensmodell (Badura et al., 2008; 2017). Weitere interessante gesundheits- und arbeitspsychologische Modelle sind z.B. das Belastungs-Beanspruchungs-Modell, das Demand Control Support Modell (DC-S), das Job Demand Ressources Modell (JD-R) und das Effort Reward Imbalance Modell (ERI).
Der Vorteil wissenschaftlich evaluierter und praxistauglicher Standardfragebögen ist es, dass o.g. Grundregeln erfüllt und teilweise Vergleiche mit Referenzwerten, also anderen (Berufs-) Gruppen möglich sind. Allerdings sind einige dieser Verfahren urheberrechtlich geschützt und unterliegen ggf. einer Nutzungs- bzw. Lizenzgebühr. Zudem ist, je nach Verfahren, eine gewisse fachliche Nutzerqualifikation erforderlich (d.h. spezifisches Fachwissen sowie Interpretationskenntnisse). Das fundierte Vorgehen liefert jedoch im Ergebnis eine ideale Gesprächsgrundlage im Steuerkreis und für die anschließende Ableitung bedarfsgerechter Maßnahmen.
Fragebögen in Zeiten von Corona
In Zeiten von Corona treten vor allem Fragebögen zu den folgenden Themen in den Vordergrund:
- Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes,
- Belastung durch Corona, Homeoffice, Mobiles Arbeiten,
- Einflüsse der Arbeits- und Organisationsstruktur/Arbeitsanalyse,
- Engagement, Mitarbeiterbindung,
- Gratifikationskrisen, Fairness, Gerechtigkeit,
- Qualität der Unternehmenskultur,
- Stress/psychische Belastung, Arbeitsintensität/Kontrolle,
- Soziale Unterstützung, Führungsverhalten, Mitarbeiterführung und Beziehungsklima,
- Work-Life-Balance
Fazit
Schlussendlich entscheidet jedes Unternehmen für sich selbst, ob und welche Standardfragebögen zum Einsatz kommen. Bei fehlender Anwenderqualifikation, die bei einigen Verfahren durchaus erforderlich sind, kann eine externe Unterstützung sinnvoll sein, z.B. durch Gesundheitsexperten oder Beratungsunternehmen, die sich auf Mitarbeiterbefragungen im BGM spezialisiert haben und bereits Erfahrungen mit den o.g. Verfahren und Modellen aufweisen können.
Das Instrument der Mitarbeiterbefragung bietet im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements die große Chance, einen fundierten Überblick zum Thema Arbeit und Gesundheit in der eigenen Organisation zu erhalten. Durch das konkrete Aufzeigen von Gesundheitsrisiken und spezifischen Entwicklungspotenzialen trägt diese Analysemethode zu einem modernen betrieblichen bzw. behördlichen Gesundheitsmanagement bei – gerade in Krisenzeiten.
Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße die COVID-19-Pandemie Auswirkungen auf den Stellenwert von Mitarbeiterbefragungen im BGM haben wird. Angesichts der Notwendigkeit, Mitarbeiter auch im Homeoffice zu begleiten und negative Folgen psychischer Belastungen während eines tiefgreifenden Wandels zu reduzieren, könnte das Befragungstool – neben der Beobachtung durch Experten bzw. Fachkräfte für Arbeitssicherheit und der klassischen Fehlzeitenstatistik – noch weiter an Bedeutung gewinnen.
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