Der Fall: Long-Covid beruflich verursacht?
Die Klägerin macht eine Berufskrankheit infolge einer Infektion mit dem Covid19-Virus geltend. Sie war als Beschäftigungsassistentin im Alten- und Pflegeheim A-Stadt beschäftigt. Am 3.11.2020 wurde bei ihr eine Covid19-Infektion festgestellt. Die Klägerin gab an, seit 15.3.2021 an Beschwerden infolge von „Long-Covid“ zu leiden. Seit 1.8.2021 laufe eine Wiedereingliederung. Es seien mehrere Mitarbeiter in den zwei Wochen vor der Covid19-Infektion erkrankt gewesen. Mit diesen sei sie nicht in Kontakt gewesen. Andere Ansteckungsquellen seien ihr nicht bekannt. Durch das Gesundheitsamt sei keine Index-Person ermittelt worden. In einer weiteren Auskunft gab die Klägerin an, dass sie sich vermutlich im Alten- und Pflegeheim bei der Arbeit angesteckt habe. Während der Ausübung ihrer Tätigkeit sei es nicht möglich gewesen Abstand zu den Betreuten einzuhalten. Der Arbeitgeber der Klägerin teilte mit, dass eine Infektion im Heim unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen sei. Die erste Bewohnerin sei am 3.11.2020 positiv getestet worden, die zweite am 5.11.2020. Die Quarantäne sei für Kontaktpersonen der Bewohner angeordnet worden. Mit Bescheid vom 5.1.2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Covid19-Infektion vom 3.11.2020 als Versicherungsfall ab. Laut Angaben des Arbeitgebers habe die Klägerin keinen nachweislichen Kontakt zu den infizierten Bewohnern gehabt. Des Weiteren seien keine Kollegen positiv auf Covid-19 getestet worden. Außerdem habe die Klägerin lediglich 4 Stunden am Tag gearbeitet. Die übrige Zeit verbringe sie privat. Die Inzidenz habe zum Infektionszeitpunkt bei über 200 am Wohnort der Klägerin gelegen. Somit sei eine private Infektion wahrscheinlich.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, der erfolglos blieb.
SG: Reine Möglichkeit einer Ansteckung ist nicht ausreichend
Das SG Augsburg bezieht sich im Folgenden auf die gefestigte Rechtsprechung des BSG (SG Augsburg, Urteil vom 17.11.2022, S 18 U 65/22). Als Folge eines Arbeitsunfalls sei eine Gesundheitsstörung nur zu berücksichtigen, wenn die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sind. Zudem ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich.
Dabei reiche für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit aus. „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d. h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt.
Bei einer Covid19-Infektion kommt, so das SG weiter, eine Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV nur dann in Betracht, wenn eine erhöhte Infektionsgefahr vom Arbeitsplatz ausging. Dies ist insbesondere bei Tätigkeiten im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege der Fall. Da die Klägerin im Alten- und Pflegeheim als Betreuungskraft einer erheblich höheren Infektionsgefahr ausgesetzt war, ist die Anerkennung einer Berufskrankheit grundsätzlich möglich, soweit die anderen Voraussetzungen erfüllt sind. Grundsätzlich gilt für den privilegierten Personenkreis, der im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege arbeitenden Menschen die Beweiserleichterung. Allerdings müsse auch bei einer Berufskrankheit der Kontakt mit an Covid19 erkrankten Patienten oder Kollegen im beruflichen Zusammenhang nachgewiesen werden, damit eine Anerkennung erfolgen kann. Laut der Auskunft des Arbeitgebers waren lediglich zwei Bewohner parallel zur Klägerin positiv auf das Covid19-Virus getestet worden. Kollegen waren nicht betroffen. Die Klägerin hatte während ihrer Tätigkeit keinen nachweislichen Kontakt zu Covid19 infizierten Personen. Damit ist eine beruflich bedingte Ansteckung unwahrscheinlich. Die reine Möglichkeit, dass sich die Klägerin bei der beruflichen Tätigkeit mit dem Virus angesteckt hat, ist nicht ausreichend für die haftungsbegründende Kausalität in der Beweiskette eines Covid19-Versicherungsfalles.
Wichtig für die Praxis
Wie häufig Long-Covid auftritt kann nach Einschätzung des RKI nicht verlässlich geschätzt werden. Man wird aber von einer nicht unerheblichen Zahl dieser Erkrankungen auszugehen haben, was wiederum auch auf die Anerkennung von Berufskrankheiten Auswirkungen haben wird. Hierbei sind die Hinweise des SG Augsburg sehr wertvoll.