Der Fall: Kettensägeunfall beim Baumscheibenschneiden
Der Kläger war Mitglied des Elternbeirates eines kommunalen Kindergartens. Im Jahr 2017 sollte der Kläger für den jährlichen Weihnachtsmarkt des Kindergartens Baumscheiben zuschneiden, um diese auf dem Basar des Weihnachtsmarktes zu verkaufen. Am 18.11.2017 schnitt der Kläger auf seinem Privatgrundstück die Baumscheiben zu. Dabei geriet seine linke Hand in die Kreissäge, woraufhin er Mittel- und Ringfinger verlor.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Nach § 2 Abs. 2 SGB VII seien Personen, die als „Wie-Beschäftigte“ tätig werden, gegen das Risiko Arbeitsunfall versichert. Da der technische Ablauf der Arbeiten allein durch den Kläger bestimmt worden sei und er bei der Ausführung völlig freie Hand gehabt habe, liege die hierfür erforderliche arbeitnehmerähnliche Tätigkeit nicht vor. Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10a SGB VII bestehe ebenfalls nicht. Als Mitglied des Elternbeirats erstrecke sich der Versicherungsschutz grundsätzlich auf die Teilnahme an den Sitzungen und Konferenzen des Beirats. Die Mithilfe bei Veranstaltungen der Einrichtung werde davon nicht erfasst.
Der Widerspruch und die Klage vor dem SG blieben ohne Erfolg. Auch das LSG lehnte den Versicherungsschutz ab (LSG Thüringen, Urteil vom 30.4.2021, Az. L 1 U 682/20). Die Tätigkeit des Klägers am Unfalltag auf seinem Privatgrundstück bewege sich außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Gemeinde bzw. der Kita. Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinde und der Kita-Leitung bestünden hier nicht. Eine organisatorische Mitverantwortung der Gemeinde beim Herstellen der Holzscheiben durch Zusägen mit der Kreissäge des Klägers ließe sich nicht feststellen.
BSG: Weiter Begriff der ehrenamtlichen Tätigkeiten
Anders als die beklagte Unfallkasse und die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht das Ereignis als Arbeitsunfall anerkannt (Urteil vom 5.12.2023, Az. B 2 U 10/21 R). Der Kläger war nach Ansicht der BSG-Richter zum Unfallzeitpunkt als Mitglied des Elternbeirats innerhalb der gesetzlichen Aufgabenkreise der Gemeinde als Trägerin des Kindergartens und des Elternbeirats ehrenamtlich tätig. Kindergarten und Elternbeirat hatten ihm zudem die unfallbringenden Sägearbeiten konkret übertragen. Fehlende Einwirkungsmöglichkeiten auf dem Privatgrundstück des Klägers seien insoweit ohne Belang. Der Versicherungsschutz erstreckt sich ohne zeitliche oder räumliche Begrenzung auf ehrenamtliche Tätigkeiten „für“ die Einrichtung.
Wichtig für die Praxis
Bereits im Jahr 2022 hatte das BSG den Unfallversicherungsschutz im Ehrenamt erheblich gestärkt (Urteile vom 8.12.2022). Nun hat es einen weiteren Pflock eingeschlagen, in dem es die Frage geklärt hat, ob die ehrenamtliche Tätigkeit als solche oder nur das ehrenamtliche Tätigwerden im organisatorischen Verantwortungsbereich der Körperschaft versichert ist. Mit der klaren Aussage, dass sich der Versicherungsschutz ohne zeitliche oder räumliche Begrenzung auf ehrenamtliche Tätigkeiten „für“ die Einrichtung erstrecke, wird der Schutz deutlich ausgeweitet.