Wie Unternehmen Menschen mit Schwerbehinderung sicher beschäftigen können
In den vergangenen zehn Jahren haben im internationalen Vergleich eine relativ hohe Zahl von Menschen mit Behinderungen Beschäftigung auf dem (ersten) Arbeitsmarkt gefunden. Dafür verantwortlich sind vor allem die im internationalen Vergleich hohen gesetzlichen Anforderungen zur Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung. Diese hohen und zahlreichen Anforderungen haben aber auch einen Nachteil: Die Unternehmen kennen die meisten davon nicht und richten Arbeitsplätze für schwerbehinderte Beschäftigte falsch oder nur unzureichend ein. Aufgrund der hohen gesetzlichen Standards verzichten viele Betriebe auch ganz auf die Beschäftigung von Schwerbehinderten und zahlen stattdessen lieber eine Ausgleichsabgabe.
Was ist ein behinderungsgerechter Arbeitsplatz?
Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind oft unsicher, welche Auswirkungen und speziellen Gefährdungen verschiedene Behinderungen mit sich bringen, wie diese Gefahren dokumentiert und wie die Arbeitsbedingungen entsprechend der Gefährdungsbeurteilung verändert werden müssen.
Unternehmen stellt sich zunächst einmal die Frage, was eine (schwer-)behindertengerechter Arbeitsplatz überhaupt ist. Der Gesetzgeber definiert diesen unter anderem folgendermaßen:
- die Arbeitsumgebung darf den behinderten Beschäftigten weder über- noch unterfordern,
- die Beschäftigten dürfen durch die Arbeitsgeräte bei ihrer Arbeit nicht beeinträchtigt werden,
- Hindernisse und Barrieren am Arbeitsplatz, die den behinderten Beschäftigten bei seiner Tätigkeit einschränken oder gefährden, müssen beseitigt werden.
Kölner Modell
Um diese Unternehmen bei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung speziell für Arbeitsplätze von schwerbehinderten Beschäftigten zu unterstützen, hat das Integrationsamt des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) in Köln eine Methodik entwickelt, mit der überprüft werden kann, ob geplante oder vorhandene Arbeitsstätten und Betriebsmittel einen sicheren Betriebsablauf für Menschen mit Behinderung gewährleisten – die sogenannte „Inkludierte Gefährdungsbeurteilung“ (iGB). Das entwickelte Verfahren ist seitdem auch als „Kölner Modell“ bereits ein Begriff.
Beispiel Hörgeschädigte
Die vom Projekt entwickelte Methodik wurde am Beispiel von Menschen mit Hörbehinderung erarbeitet, sie kann aber auch auf andere Behinderungsarten übertragen werden. Die neue Methode hilft den Unternehmen dabei, systematisch zu analysieren, wo die spezifischen Gefahren für die behinderten Mitarbeiter in ihren Betrieben liegen. Für Personen mit Höreinschränkung sieht die inkludierte Gefährdungsbeurteilung unter anderem folgende Maßnahmen vor:
- Schriftliche Anleitungen: Unternehmen sollten Informationen in „leichter Sprache“ erstellen, wie sie zum Beispiel auch bei ausländischen Mitarbeitern mit nur geringen Deutschkenntnissen angewendet wird.
- Akustische und optische Signale: Hörgeschädigte Beschäftigte können akustische Signale, die nicht in direktem Zusammenhang mit einem visuellen Reiz stehen, nicht wahrnehmen und erkennen. Akustisch vermittelte Information sollte daher unbedingt mit optischen Signalen gekoppelt werden.
- Technische Hörhilfen: Hörhilfen können in Kombination mit Kapselgehörschützern getragen werden, wenn deren Wirksamkeit nicht durch die Hörhilfe beeinträchtigt wird und es nicht zu Rückkoppelungen kommt. Sofern der Einsatz technischer Hörhilfen in explosionsgefährdeten Zonen vorgesehen ist, können kompakte Geräte, die im Ohr getragen werden, in den Zonen 1 und 2 verwendet werden.
- Warn- und Notsignale: Alle Warn- und Notsignale im Betrieb müssen so gestaltet werden, dass sie für Hörgeschädigte wahrnehmbar und erkennbar sein müssen.
- Prävention bei Resthörvermögen: Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Beschäftigte mit Resthörvermögen durch die Arbeit in lauter Umgebung keine weitere Schädigung des Gehörs erleiden. Je geringer die Aufenthaltsdauer in lauter Umgebung und je geringer die gleichzeitige Betriebsdauer von Schallquellen gestaltet werden kann, desto geringer wird die Belastung für die Beschäftigten sein.
So bekommen Unternehmen Hilfe
Die Expertise und Kompetenzen zur Durchführung einer inkludierten Gefährdungsbeurteilung als auch die Einführung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes ist aber in den meisten Unternehmen naturgemäß nicht vorhanden. Wie können diese Unternehmen dennoch einem Beschäftigten einen an seine Schwerbehinderung optimal angepassten Arbeitsplatz schaffen?
In allen Bundesländern gibt es dafür entweder auf kommunaler oder auf Regierungsbezirksebene angesiedelte Integrationsämter, die die Betriebe unterstützen. In Nordrhein-Westfalen sind dies zum Beispiel die Inklusionsämter der Landschaftsverbände, wie der oben schon erwähnte LVR. Diese können zwar nicht die Gefährdungsbeurteilung für die Betriebe durchführen, denn das ist einzig und allein Angelegenheit der Unternehmen. Allerdings bieten die Integrationsämter ihnen Expertise als Partner und Berater an.
Die Hilfe der Integrationsämter erfolgt dabei folgendermaßen, wie Volker Boeckenbrink, Leiter des Technischen Beratungsdienstes des Inklusionsamtes des LVR, erklärt: „Kernauftrag ist es, in Einzelfallkonstellationen bezüglich konkreter oder anvisierter Antragstellungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben Lösungen zur behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung sowie zu technischen Arbeitshilfen zu ermitteln, zu empfehlen und Stellungnahmen für die fördernden Stellen zu verfassen. Mitarbeitende des LVR-Inklusionsamtes führen Betriebsbesuche durch und beurteilen die Sachverhalte und Lösungsmöglichkeiten vor Ort und in Abstimmung mit den beteiligten und betroffenen Personen.“
Betriebsbesuche der Integrationsämter
Unternehmen müssen also erst einmal bei den Integrationsämtern Anträge auf Hilfe stellen bzw. zumindest Interesse an einer Antragstellung bekunden. In Ausnahmefällen bieten Integrationsämter auch antragslos Beratungsleistungen an.
Bei einem Betriebsbesuch der Integrationsämter geht es vorrangig darum festzustellen, inwiefern Beeinträchtigungen bei der Arbeit aufgrund einer festgestellten Behinderung mit technischen, aber auch organisatorische Maßnahmen kompensiert werden können. Hierbei unterstützt im Falle des LVR-Integrationsamtes der Technische Beratungsdienst die Unternehmen, indem er
- eine ganzheitliche Betrachtung aller Arbeitsbedingungen im Betrieb, also des Arbeitsplatzes, der Arbeitsmittel, des Arbeitsablaufes und vor allem des Menschen vornimmt und
- aufgrund der beobachteten Situation vor Ort den Unternehmen Ratschläge gibt, auf was bei Gefährdungsbeurteilungen geachtet werden muss und wie die Arbeitsplätze für die schwerbehinderten Beschäftigen optimal eingerichtet werden können.
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