Unternehmensinterne Bürokratie

Bürokratie belastet Unternehmen zusehends. Immer neue Gesetze und Verordnungen verursachen zusätzliche Kosten. Aber auch Unternehmen sollten ihre eigenen Regeln und dadurch ausgelöste Bürokratie hinterfragen. Prof. Ronald Gleich fordert das Controlling auf zu prüfen, ob es selbst Bürokratie treibt. Zum anderen sollte es helfen, die nicht notwendigen Bürokratieaktivitäten transparent zu machen und zu reduzieren.

Bürokratie belastet Unternehmen zusehends. Immer neue Gesetze und Verordnungen erfordern interne Ressourcen und verursachen damit hohe jährliche Kosten. Neben dieser vom Gesetzgeber verursachten Bürokratie sollten Unternehmen auch eigene Regeln und damit ausgelöste unternehmensinterne Bürokratie hinterfragen. Das Controlling hat zum einen zu prüfen, ob es selbst Bürokratie treibt. Zum anderen sollte es helfen, die nicht notwendigen Bürokratieaktivitäten transparent zu machen und zu reduzieren.

Deutsche und europäische Unternehmen ächzen und stöhnen unter den hohen Dokumentations- oder Erfüllungspflichten, die mit nationalen und europäischen Gesetzen und Normen verbunden sind. Abb. 1 gibt einen guten Überblick darüber, was Unternehmen in verschiedenen Funktionsbereichen an Berichts- und Erfüllungspflichten haben. Ein neuer Schwerpunkt für Finance und Controlling sind die vielen nationalen und EU-Nachhaltigkeitsnormen mit weiteren umfassenden Berichts- und Umsetzungsverpflichtungen.

Gleich Kolumne Abb 1 (1)

Eine Studie der Impulsstiftung der VDMA zum Thema Bürokratiekosten kommt anhand einzelner Unternehmensanalysen zum Ergebnis, dass bei Maschinen- und Anlagenbauern durchaus 1% des Umsatzes durch Bürokratiepflichten und deren Erfüllung gebunden sind (vgl. Icks/Weicht 2022, S. 91) (Meiner Ansicht nach ist der Umsatz hier nicht das richtige Orientierungsmaß. Besser wäre wohl der Wertschöpfungsanteil).

Dabei ist Bürokratie an sich nichts Schlechtes. Denn Bürokratie bedeutet nichts anderes als das Ausführen von Verwaltungstätigkeiten nach einheitlichen Vorgaben und innerhalb festgelegter Strukturen zum Schutz der Gesellschaft und einzelner Personen. Also regelbasiertes Arbeiten statt Chaos, Anarchie oder Zufall. In die Kritik gerät die Bürokratie dann, wenn es zu viele und zu komplizierte gesetzliche Regelungen gibt, die es zu erfüllen gilt.

Ausgangsfragen zur unternehmens­internen Bürokratie

Es ist sicherlich richtig, seitens der Unternehmen und Verbände auf die Politik einzuwirken und ein vernünftiges Maß für die Bürokratiepflichten zu finden. Doch schauen wir flankierend hierzu in die Unternehmen und die selbst auferlegten unternehmensinternen Regelungen. Damit sind wir schnell beim Controlling und müssen uns zwei wesentliche Fragen stellen:

  1. Hat das Controlling einen Überblick über die unternehmensintern induzierte Bürokratie und ein dafür geeignetes Messinstrumentarium?
  2. Ist das Controlling selbst ein Bürokratietreiber im Unternehmen und wie könnte ein controllingseitiges Bürokratieabbauprogramm aussehen?

Hat das Controlling den Überblick über den Bürokratieaufwand?

Bei der ersten Frage möchte ich sogleich aus der Deckung gehen: Es ist mir nicht bekannt, dass Controllingabteilungen sich explizit mit unternehmensinternen Bürokratiepflichten und deren Einschränkung beschäftigen oder eine spezielle Kennzahl dafür nutzen. Gerne lasse ich mich eines Besseren belehren, konnte jedoch in den mir bekannten Unternehmen oder in der Literatur dazu nichts finden.

Sehr wohl beschäftigt sich das Controlling aber mit der Vereinfachung von Abläufen oder Prozessen und mit einer Verschlankung der Organisationsstrukturen, um das Unternehmen effizienter zu machen. So kann eine Reduzierung und Vereinfachung von unternehmensinternen Informations- oder Kontrollpflichten (auch eine „Entbürokratisierung“) und eine Reduzierung von nicht wertschöpfender Arbeit (Verschwendung, „Muda“) maßgeblich helfen, Prozesse zu verschlanken und Kosten einzusparen. Genau dies hat man mit großen Initiativen in den letzten Jahrzehnten z. B. in vielen Produktionsumfeldern gemacht und eine „Lean Production“ eingeführt. Zur Messung des Umsetzungserfolgs von Lean Production nutzen Produktionscontroller Kennzahlen wie die „Flusszahl“ oder „OEE (Overall Equipment Effectiveness)“. Damit messen und interpretieren sie etwa die Schlankheit und Effizienz der Produktion und der Produktionsanlagen oder den Anteil von Wartezeiten im Verhältnis zu Bearbeitungszeiten in der Fertigung. Es gibt also durchaus „Entbürokratisierungsaktivitäten“ im Unternehmen.

Ist das Controlling selbst Bürokratietreiber?

Nun, bestimmte Regeln und Richtlinien braucht es für gute Controllingarbeit. Aber wird nicht manchmal etwas übertrieben und dem Management und den Experten zu viel Dokumentations- und Informationsarbeit abverlangt? Ich denke z. B. an:

… zu viele Statusberichte, die das Controlling als wichtig erachtet, jedoch vom Management kaum gelesen und nur wenig für eine aktive Unternehmenssteuerung genutzt werden.

… zu viele involvierte Personen (die z. B. nur in eine Informationsschleife eingebunden sind) bei einzelnen Planungs-, Reporting- oder Investitionsrechnungsaktivitäten.

… zu viele vom Controlling abverlangte Abstimmungsschleifen bei Planung, Forecasting oder Reporting oder bei Genehmigungsverfahren für Investitionen.

… zu viele Kostenstellen, die das Controlling zugelassen hat und die in vielen Fällen nur aus Gründen der Tradition oder eines „Kleinteiligkeitsmanagements“ existieren.

… zu komplizierte und wenig kundenfreundliche Regelwerke für Planung, Forecasting und Budgetierung.

…zu viele Kennzahlen, die einmal definiert wurden und weiter gehegt sowie gepflegt werden, obwohl kein interner Kunde sie wirklich benötigt.

Ansatzpunkte zur Eindämmung der unternehmensinternen Bürokratie

Es ist schwer abzuschätzen, wie viele Controlling- und Managementressourcen durch diese selbst geschaffene Bürokratie gebunden werden. Hinsichtlich des Controllings wage ich die These, dass es durchaus mehr als 10% der Controllingkapazitäten sein könnten. Meine Beobachtung ist, dass speziell stark zentral ausgerichtete Controllingeinheiten überall im Unternehmen, auch in den entferntesten dezentralen Bereichen, eine umfassende Kosten- und Performancetransparenz schaffen möchten. Das ist gut, solange man nicht über das Ziel hinausschießt, zu starr sowie bürokratisch agiert und vielleicht auch kreative und unorthodoxe Lösungen behindert.

Es gibt mittlerweile auch eine nicht unrelevante Bewegung gegen bürokratische und starre Strukturen: agiles Management und Controlling, welches mehr Freiräume für Mitarbeiter zulässt, keine starren Regeln kennt und auf dezentrale Kompetenz sowie Selbststeuerung setzt. Tools wie SCRUM, Design Thinking oder OKR sind typisch für dieses eher unbürokratische Arbeiten (auch wenn diese Tools selbst wieder klaren Regeln folgen, die zu beachten sind).

Es gilt also zum einen, möglichst zu vereinfachen, ohne die stabilen Strukturen und Prozesse im Controlling und das eingespielte Zusammenwirken zwischen Controlling und Management in Frage zu stellen. Zum anderen muss man in Einzelfällen durchaus loslassen und entbürokratisieren. Agile Controllingtools helfen, z. B. Innovationsaktivitäten im Unternehmen besser zu unterstützen (statt sie zu „übercontrollen“) oder Strategien flexibler und unter Einbeziehung dezentraler Kompetenzen wirkungsvoller umzusetzen.

Meine Empfehlung: Denken Sie doch mal über beide Fragen nach und sprechen einmal in Ihrem Controllingteam über selbstgeschaffene Bürokratie im Unternehmen und im Controlling. Haben Sie im Controllingteam das Gefühl, dass es zu viele, ggfs. überflüssige Regeln, KPIs und Reports gibt, zu viele Abstimmungsschleifen oder starre und ineffiziente Riten existieren, dann walten Sie Ihres Amtes und schaffen Sie Effizienz und freie
Ressourcen für mehr kreatives Arbeiten! 

Literaturhinweis

Icks, A., Weicht, R. (2022), Bürokratiekosten von Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau, Bonn 2022.



Schlagworte zum Thema:  Controlling, Verwaltung, Prozessmanagement