Wie wir unsere Stakeholder besser verstehen

Je nachdem, in welchen Schuhen wir stehen, kann sich unsere Perspektive ändern. Hier ist unsere Controlling-Herausforderung, aus welcher Perspektive wir Themen beschreiben und erlebbar machen, damit Menschen sie noch besser verstehen, nachvollziehen und letztlich auch entsprechend ihr Verhalten ändern.

Sind wir beispielsweise ein Schiffsbrüchiger, der nur mit seinen Flip Flops eine Insel zum Überleben gefunden hat und endlich ein Boot in der Ferne sieht, dann jubeln wir, auf Rettung hoffend: „Juhu! Ein Boot! Rettung!“. Abb. 1 zeigt dieses Szenario.

Einsame Insel

Doch Abb. 1 zeigt auch noch eine zweite Sicht: Sind wir in den Schuhen eines Fischers in einem Boot unterwegs, geraten in Seenot und sehen eine Insel, dann jubeln wir und freuen uns, Land in Sicht zu haben: „Juhu! Land in Sicht!“. Wir sehen hier beide Perspektiven und wissen in der Controlling-Beobachterrolle, dass sich für beide die Situation nicht wirklich verbessern wird, wenn Schiffbrüchiger und Gestrandeter aufeinandertreffen. Ergebnis: Sie sind jetzt nicht mehr einsam, sondern gemeinsam. Die Position, die Perspektive, quasi die Sicht, aus der wir sie betrachten, macht erst den Unterschied aus. Im beruf­lichen Kontext ist dies wichtig, sich in die Position des Gegenübers zu versetzen, um herauszufinden, wie andere sich steuern und auch gesteuert werden können.

Das führt uns zu der Frage: Wie können Stakeholder strategisch gesteuert werden? Diese zentrale Frage ist gerade im Controlling wichtig, um die Key Performance Indikatoren (KPIs) entsprechend zielgruppen-, ergebnis- und erlebnisorientiert zu fokussieren und zu formulieren, damit Akzeptanz entsteht und sich das Verhalten entsprechend ändert. Wer sind unsere Stakeholder? Stakeholder sind Anspruchsgruppen, Personen, Personengruppen oder auch Institutionen, die ein Interesse an der Organisation haben und manchmal auch Macht ausüben wollen. Stakeholder haben meist ein berechtigtes Interesse oder gar einen Anspruch an einer Organisation.

Eine Stakeholder-Analyse dient dazu, diese Interessensträger zu identifizieren und mögliche Konflikte rechtzeitig aufzuzeigen, um diese frühzeitig zu kennen und Maßnahmen einzuleiten. Im Angloamerikanischen wird die Stakeholder-Matrix auch "Power-Interest-Matrix" genannt und bringt die zwei Themen "Power" (Macht) und "Interest" (Interesse) sofort auf den Punkt. Doch nun Schritt für Schritt: Ziel einer Stakeholder-Analyse ist es:

  1. Stakeholder identifizieren, bewerten und entscheidungsrelevante Kennzahlen festlegen
  2. Macht- und Interessens-Matrix für den Ist- und auch Zukunftszustand aufzeigen
  3. Maßnahmen zur Risikoreduzierung einleiten

Bei der Stakeholder-Identifikation geht es darum,
Anspruchsgruppen zu identifizieren, zu bewerten und Konfliktpotential frühzeitig aufzuzeigen, um so schnell wie möglich Maßnahmen einzuleiten. Stakeholder können über eine ABC-Liste aufgenommen werden. Einige Unternehmen kategorisieren die Anspruchsgruppen dann weiter in interne und in externe Stakeholder. Es gibt jedoch auch Anspruchsgruppen, die sowohl intern als auch extern agieren. Dann werden die Stakeholder, die intern und extern verkörpern, der Kategorie zugeordnet, die das größere Ausmaß darstellt.

Sinnvoll erscheint eine Kategorisierung in Macht- und Interesseneinfluss. Bei einer beispielhaften Skala von "1" für niedrig und "10" für sehr hoch kann die Macht zur Beeinflussung der Ziele bewertet werden. Ähnlich kann die Skala für das jeweilige Interesse, die Ziele zu verändern, genutzt werden. Die Bewertungen der Felder Macht und Interesse können dann addiert werden. Das Ergebnis mit dem höchsten Wert zeigt den höchsten Rang der Stakeholder an. Damit können Haupt-Stakeholdergruppen identifiziert werden, siehe Tab 1.

Lfd. Nr.

Anspruchsgruppen

Macht, die Ziele zu beeinflussen,

1 = niedrig

10 = hoch

Interesse, die Ziele zu beein-flussen,

1 = niedrig

10 = hoch

Zwischensumme

Rang der Stakeholder

Wünsche, Anforderungen

Kennzahl

1

Mieter

8

8

16

1

Bezahlbarer Wohnraum, lebenswerte Wohnung, etc.

Durchschnittliche Miete in €/qm2, Ausstattungsqualität, etc.

2

Personal

7

7

14

1

Angemessene Löhne und Gehälter, etc. 

Lohn, Wochenarbeitszeit, Work-Life-Balance, Zusatzangebote, etc.

...

...

...

...

...

...

...

...

Tab. 1: Macht-Interessens-Bewertung am Beispiel eines Immobilienunternehmens

Dies zeigt, dass eine Stakeholder-Analyse das Ziel hat, kritische Personen, Personengruppen bzw. Institutionen zu identifizieren, um entsprechende Maßnahmen noch besser planen zu können. Interessant ist, dass sich Key Performance Indikatoren teilweise nicht mit der Stakeholder-Analyse decken. Dies kann zur Idee führen, dass in der Bewertung nun die Interessen und Wünsche der Stakeholder aufgenommen werden und entsprechende Kennzahlen entwickelt werden. An dieser Stelle hilft die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die auf Basis einer Stakeholder- und Wesentlichkeitsanalyse beruht. Diese Methode zeigt, dass nun für entscheidungsrelevante Stakeholder entsprechende Kennzahlen kommuniziert werden können. Besonders interessant für noch bessere Entscheidungen ist es, den Zusammenhang zwischen Macht und Interessen darzustellen. Entsprechend gibt es Stakeholder,

  1. die viel Macht und großes Interesse haben
  2. welche mit viel Macht und niedrigem Interesse,
  3. welche mit wenig Macht und großem Interesse
  4. Stakeholder mit wenig Macht und geringem Interesse, die Ziele zu beeinflussen.

Zur ersten Gruppe zählen partizipative Stakeholder, die viel Macht und ein großes Interesse haben, die Unternehmensstrategie zu verändern. Diese Stakeholder integriert man unbedingt aktiv und proaktiv in die Entscheidungs- und Diskussionsrunden.

Die zweite Gruppe sind diskursive Stakeholder, die viel Macht und ein geringes Interesse haben, die Strategie zu verändern. Meinungen dieser Gruppen hört man am besten an und nimmt sie auf. Die Beteiligung beruht eher auf einer Erhebung und Anhörung. Social Media-Kanäle können hier auch eine gute Lösung sein.

Die dritte Gruppe sind restriktive Stakeholder mit wenig Macht und einem großem Interesse, die Strategie zu beeinflussen. Diesen Stakeholder gibt man am besten Informationen, bspw. mittels Newslettern. Eine aktive Mitarbeit wird eher strategisch gesehen und sollte möglichst befristet sein. Auch hier stellen Social Media-Kanäle eine gute Plattform dar.

Zu der vierten Gruppe zählen die repressiven Stakeholder. Sie haben wenig Macht und wenig Interesse, die Strategie zu verändern. Diese werden ähnlich wie die restriktiven Stakeholder behandelt. Auch hier kann Social Media eine gute Lösung darstellen.

Relevant sind Haupt-Stakeholder und besonders kritische Stakeholder zu identifizieren, um für diese die Haupt-Kennzahlen herauszuarbeiten und zu berichten. Mit gezielten Stakeholder-konformen Kennzahlen kann eine langfristige Unterstützung gesichert werden. Wenn mögliche Probleme und Risiken im Vorfeld aufgedeckt werden, können Pläne besser darauf abgestimmt werden. Zudem wird mithilfe einer Stakeholder-Kennzahlenübersicht die Kommunikation signifikant verbessert und Risiken so noch besser abgesichert.

Social Media kann hier eine Schlüsselrolle einnehmen. Allerdings müssen diese Kanäle schnell und pfiffig bedient werden. Gerade wenn kritische Diskussionen aufkommen, sollten sie offen und wertschätzend geführt werden. Häufig können auf diese Weise sogar Themen noch besser geklärt werden. Das bedarf allerdings einer offenen Kommunikation und auch einer Fehlerkultur im Unternehmen. Die ersten Unternehmen öffnen sich und erfahren dadurch einen wahren Boom, denn manche Themen wollen ja einfach mal betrachtet und gesehen werden. An dieser Stelle sei auch auf die ‚Controlling rockt!‘-Kolumne im CM 3/24 verwiesen: ‚Frage doch deinen Controlling-Bericht – Talk to your Report!?‘. Auch ein ChatBot kann eine Lösung darstellen, um mit Stakeholdern besser zu kommunizieren.

To Go’s:

  • Stakeholder identifizieren, bewerten und entscheidungsrelevante Kennzahlen festlegen,
  • Macht- und Interessensmatrix hilft zum Anregen und
  • ... Controlling rockt deine Woche!

Der Beitrag erschien erstmals im Controller Magazin 6/2024.


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