Julius Hansen, Ann-Kathrin Langefeld
Zusammenfassung
Die nach wie vor größte Herausforderung für die Unternehmen als Rating-Objekte, Investoren und andere Stakeholder stellen die Unbeständigkeit und mangelnde Nachvollziehbarkeit der unterschiedlichen ESG-Bewertungsmethoden dar. Noch sind ESG-Ratings relevant und häufig ein wichtiger Bestandteil ganzheitlicher, fundierter Investment-Entscheidungen. Wie die Rating-Anbieter auf zunehmenden Druck, auch von regulatorischer Seite, reagieren werden, wird bestimmen, wie sich die Branche entwickeln wird.
1 Ausgangssituation
Rz. 1
Informationen zur Leistung bzgl. ökologischer, sozialer und Governance-Aspekte unternehmerischen Handelns besitzen für eine Vielzahl privater und institutioneller Stakeholder-Gruppen hohe Relevanz. Spätestens seit den 1990er Jahren steigen die Forderungen nach entsprechenden Angaben stetig an. Dieser veränderte Informationsbedarf von Anlegern, Kunden, Beschäftigten etc. ist als Ausdruck eines in zunehmendem Maße aktiven zivilgesellschaftlichen Handelns zu verstehen und hat über die Jahre zu einer dynamischen Entwicklung im Bereich der ESG-Ratings beigetragen. Zu berücksichtigen sind auch diverse M&A-Aktivitäten (oder Fusionen) in diesem Segment. Im Zuge spektakulärer Zusammenbrüche von Großunternehmen, wie bspw. Enron in den USA oder Parmalat in Europa, deren Auslöser jeweils, wie auch im Fall Wirecard, erhebliche Bilanzfälschungen waren, erfahren ethisches Handeln und die vermeintlich "weichen" bzw. "nichtfinanziellen" Faktoren der Managementqualität eine bis dato nicht gekannte Aufmerksamkeit. Flankiert wird diese Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit durch eine sich stark ausweitende ESG-Regulatorik, die unter der großen Überschrift "Sustainable Finance" insbes. auch die internationalen Finanzmärkte sowie die "Financial Community" erfasst hat. ESG-Ratings spielen aktuell weiterhin eine wichtige Rolle in der Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen und werden von Investoren – mittlerweile häufig flankiert durch eigene/Inhouse-ESG-Analysen – zu Vergleichszwecken herangezogen.
Rz. 2
Vor diesem Hintergrund befasst sich der Beitrag mit dem Aspekt der systematischen Beurteilung unternehmerischer Nachhaltigkeitsleistungen durch spezialisierte (ESG-)Rating-Agenturen. Als Beurteilungs- und Vergleichskonzept zielt ein ESG-Rating auf die Einordnung eines Unternehmens in eine "Nachhaltigkeitsklasse" ab. Weitere Bezeichnungen – Öko-Rating, Environmental-Rating, Social-Rating oder auch CSR-Rating – werden nachfolgend aufgrund inhaltlicher Ähnlichkeit ebenfalls unter den Begriff des ESG-Ratings subsumiert.
2 Konzept von ESG-Ratings und Gründe für eine aktive Rating-Beteiligung
Rz. 3
Ein ESG-Rating beabsichtigt i. d. R. eine holistische, d. h. integrierte soziale, ökologische und auf die Governance bezogene Beurteilung des Unternehmens. Die ökonomische Perspektive wird indes vorwiegend in klassischen Finanz-Ratings eingenommen, die auf die Bonitätsbewertung der Emittenten abzielen (von den ESG-Ratings separiert).
Rz. 4
Das primäre Ziel von ESG-Rating-Agenturen ist es, durch die Auswertung von ESG-bezogenen Unternehmensdaten (vorwiegend basierend auf öffentlich verfügbaren Quellen, aber auch in dieser Hinsicht variieren die Ansätze der Anbieter) sowohl eine absolute, unternehmensindividuelle Nachhaltigkeitsbewertung zu ermitteln als auch eine relative Nachhaltigkeitsposition von Unternehmen, etwa im Branchen- oder Länderkontext, zu bestimmen. Hierbei sind häufig Produkte sowie Managementsysteme und -prozesse Gegenstand des Ratings. Die Informationsbereitstellung seitens der bewerteten Unternehmen wird bspw. durch folgende Ansätze unterstützt: Audits, betriebliche Umweltinformationssysteme, Bilanzen, Label sowie Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagementsysteme.
Rating-Agenturen entwickeln zu diesem Zweck eigenständige Erhebungssysteme, d. h. auf Paradigmen der Nachhaltigkeit oder Corporate Social Responsibility (CSR) ausgerichtete Messkonzepte und Beurteilungsverfahren. Hierbei ist zwischen aktiven und passiven Ratings zu unterscheiden. Einige ESG-Ratings (z. B. EcoVadis; Rz 10) erfordern eine aktive Beteiligung von den Unternehmen und teilw. auch eine Teilnahmegebühr. So müssen Unternehmen bei aktiven ESG-Ratings Dokumente zur Verfügung stellen und in vielen Fällen Rating-spezifische Fragebögen befüllen. Anderen Ratings liegt eine rein passive Bewertung zugrunde, bei der die Rating-Agenturen lediglich auf frei verfügbare Informationen über das entsprechende Unternehmen zugreifen. Dies führt zu einer Diversifizierung in der Zugänglichkeit und Relevanz der Ratings für verschiedene Unternehmenstypen. Im "Rate the Raters"-Bericht für das Jahr 2023, welcher auf einer umfassenden Umfrage zur Qualität und Nützlichkeit von ESG-Ratings basiert, wurden diese beiden Kriterien besonders für aktive ESG-Ratings höher bewertet als für passive.
Rz. 5
Das Rating als eine Methode zur Einstufung von Sachverhalten bezeichnet das Ergebnis eines Beurteilungsvorgangs. ...