2.7.1 Hilfsmittel der Schätzung
Schätzungen der betriebsindividuellen Nutzungsdauer sind i. d. R. mit Unsicherheiten verbunden, da sich die maßgeblichen Faktoren nicht genau vorausberechnen lassen. Daher muss dem Kaufmann bei der Schätzung ein Ermessensspielraum zugestanden werden. Das Prinzip kaufmännischer Vorsicht gebietet, im Zweifel eher eine zu kurze als zu lange Nutzungsdauer anzusetzen. Unzulässig ist allerdings eine willkürlich kurze Schätzung der Nutzungsdauer. Handelsrechtlich zulässige Schätzungen sind prinzipiell auch steuerlich bindend.
Als Hilfsmittel für die Schätzung der Nutzungsdauer hat das BMF unter Beteiligung der Fachverbände der Wirtschaft AfA-Tabellen für allgemein verwendbare Anlagegüter und für verschiedene Wirtschaftszweige (sog. Branchentabellen) herausgegeben. Sie berücksichtigen sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts. Diese Abschreibungstabellen sind zwar weder handels- noch steuerrechtlich verbindlich, da es auf die betriebsindividuellen Verhältnisse ankommt. In der Praxis werden die Abschreibungstabellen jedoch weitgehend angewandt.
Die amtlichen AfA-Tabellen dienen der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Auf diese Weise bleibt es den Unternehmern und dem Finanzamt erspart, sich bei jeder einzelnen Anschaffung über die Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts auseinanderzusetzen.
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2.7.2 Vermutung der Richtigkeit
Die amtlichen AfA-Tabellen haben zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich, ohne dass sie jedoch für die Gerichte bindend wären. Die AfA-Tabellen sind anzuwenden, soweit sie nach der Einschätzung des FG den Einzelfall vertretbar abbilden. Für das Finanzamt haben sie den Charakter einer Dienstanweisung. Für den Steuerpflichtigen handelt es sich um das Angebot der Verwaltung für eine tatsächliche Verständigung im Rahmen einer Schätzung, das er (z. B. durch die Anwendung der Tabellen bei der Berechnung seiner Einkünfte) annehmen kann, aber nicht muss.
AfA-Tabellen sind von den Steuergerichten unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und im Hinblick auf das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur dann nicht zu beachten, wenn die Anwendung der AfA-Tabelle im Regelfall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Sie werden von den Steuergerichten also nur dann nicht respektiert, wenn sie zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen. Will das Finanzgericht von der in der amtlichen AfA-Tabelle zugrunde gelegten Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts generell und nicht nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls abweichen, erfordert dies eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnisgrundlagen der Finanzverwaltung, auf denen die AfA-Tabelle beruht.
2.7.3 Abweichen von der AfA-Tabelle
Will der Steuerpflichtige in seiner Steuerbilanz eine kürzere Nutzungsdauer ansetzen, als in den AfA-Tabellen angegeben, hat er dafür die Beweislast. Die Abweichung bedarf dann einer besonderen Begründung. Ein Abweichen von den Richtwerten für die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern nach den amtlichen AfA-Tabellen erfordert eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnisgrundlagen der Finanzverwaltung hinsichtlich der in den AfA-Tabellen für die entsprechenden Wirtschaftsgüter aufgestellte Nutzungsdauer und die Darlegung von Umständen, die geeignet sind, die Vermutung der Richtigkeit dieser amtlichen AfA-Tabellen zu widerlegen.
Bei von der AfA-Tabelle nach unten abweichenden Nutzungsdauern wird steuerlich nur im Einzelfall nach entsprechender Darlegung objektiv nachprüfbarer Gründe für die geringere Nutzungsdauererwartung von der AfA-Tabelle abgewichen.
Wie zu verfahren ist, wenn der Steuerpflichtige eine längere Nutzungsdauer ansetzen will, als in den AfA-Tabellen angegeben, ist den Vorbemerkungen zu den AfA-Tabellen nicht zu entnehmen. Die AfA-Tabellen regeln nur den Fall, dass die dort angegebene Nutzungsdauer unterschritten werden soll, nicht aber den umgekehrten Sachverhalt einer Überschreitung der angegebenen Nutzungsdauer. Wird handelsrechtlich eine längere Nutzungsdauer als die steuerlich nach der AfA-Tabelle vorgegebene Nutzungsdauer angesetzt, birgt dies das Risiko, dass durch die – auch nach BilMoG weiterhin bestehende – Maßgeblichkeit die längere Nutzungsdauer auf die Steuerbilanz "durchschlägt" und die in den AfA-Tabellen fixierte Nutzungsdauer überlagert.
Von den Richtwerten für die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern der AfA-Tabellen kann dennoch nicht nur "nach unten, sondern auch nach oben abgewichen wer...