Prof. Dr. Ronald Gleich, Manfred Blachfellner
Der "Fall", der nachstehend skizziert wird, ist keine normale Case Study über ein einzelnes Unternehmen. Gegenstand dieser Fallstudie ist vielmehr der Servitization-Prozess selbst. Dieser steht mit seinen vier Entwicklungsphasen und den entsprechenden drei Entwicklungsschritten im Fokus (analog Abb. 2). Wie diese Phasen und Schritte zur Realisierung des Prozesses konkret aussehen können, wird anhand verschiedener Unternehmensbeispiele gezeigt. Weshalb nun diese Abweichung von der klassischen singulären Fallstudie? Studien belegen überzeugend, dass der Servitization-Prozess für Unternehmen profitabel ist, zu langfristigen Kundenbeziehungen und Verträgen mit höheren Margen führt. Spannender sind die konkreten Entwicklungen entlang der vier Phasen des Servitization Prozesses, die an Beispielen aus unterschiedlichen Brachen verdeutlicht werden. Dazu findet sich bislang nur wenig Literatur. Gerade diese Information ist allerdings für Controller, die diese Transformation als Business-Partner begleiten, von großer Bedeutung. Vorab noch ein wichtiger Hinweis zu den gewählten Beispielen. Alle erwähnten Unternehmen sind aktuell in Prozesse der 3. oder 4. Phase involviert, im Rahmen der Entwicklung von Plattformlösungen oder anderen Kooperationen, die entsprechende Geschäfts- und Preismodelle erfordern. Und bei allen Unternehmen ist die Authentizität des Denkens und Handelns in der Organisation gegeben. Die Transformation realisieren diejenigen, bei denen die Service-Kultur nicht nur implementiert wird, sondern mitwachsen kann. Nur so wird ein Servitization-Prozess nachhaltig, glaubwürdig und erfolgreich umgesetzt. Was kann ein "Startpunkt" für den Servitization-Prozess sein? Am Anfang steht meist die Frage eines CEO oder Gesellschafters: "Wollen wir mit Service wachsen und damit unsere Markt- und Wettbewerbsposition verbessern?" Lautet die Antwort "ja", wird es mit den nächsten beiden Fragen konkreter – und schwieriger: "Was bedeutet das für unser Business?" und "Wie gestalten wir unseren Servitization-Prozess?" Die Antworten können im Anfang des Unternehmens liegen. Auch etablierte Unternehmen waren einmal Start-ups, haben eine Idee gehabt, wie eine Aufgabe leichter, bequemer oder schneller zu lösen ist, so dass ein Anwender sein Ziel einfacher oder günstiger erreicht, die Lösung nachhaltiger oder ökologisch verträglicher ist. All dies war mit einem Service-Mindset immer am Kundenwunsch orientiert. Das Start-up wächst, wird ein Unternehmen. Man kämpft um die Verbesserung der Kundenlösung, sucht die optimale Antwort. Später rücken andere, interne Aufgaben in den Fokus, die eigene Organisation, Produktion und Finanzen sind zu regeln. Abteilungsstrukturen entstehen, oft gepaart mit einer Silomentalität. Die Produktion läuft auf Hochtouren. Produzierte Produkte benötigen Kunden, jetzt wird der Vertrieb aktiv und erklärt den Kunden, warum das Produkt für sie wertvoll ist, sie es kaufen soll(t)en. Nach dem Kauf eines Produktes nutzt der Kunde es: ohne Rückfragen, weil er Produkt und Prozesse kennt und mögliche Reparaturen selbst erledigt; oder mit Rückfragen nach Ersatzteilen oder Hilfen verschiedener Personen bei der Anwendung. Das kann der Startpunkt des Servitization-Prozesses sein, der Unternehmen ihren Kunden-Fokus wiedergibt. Dazu gehört zunächst Zuhören und einfache Unterstützung (Phase 1), dann die Schaffung von Mehrwertlösungen (Phase 2 und 3) bis zur gemeinsamen Verantwortung des Outputs für den Kunden des Kunden (Phase 4). Also heißt es tatsächlich: "Back to the Roots", zum Gründer und seiner Idee. Sprechen Sie wieder mit Kunden und Anwendern. Lernen Sie, wo ihre Bedarfe liegen und wie diese sich weiterentwickeln. So machen wir es doch, lautet die übliche Aussage. Dafür gebe es Prozesse. Gut so, wenn diese ehrlich und direkt aufgebaut sind (Beispiel Heidolph). Nicht gut, wenn die Entwickler und der Geschäftsführer keinen persönlichen Kontakt zu den Anwendern haben und sich auf die Marktforschung und den Vertrieb verlassen, von denen sie Informationen über Veränderungen im Markt erwarten. Diese Informationen sind ergänzend wichtig, doch das Interesse am O-Ton, am persönlichen Kontakt, ist die Basis.
Phasen und Schritte im Servitization-Prozess
Diese Fallstudie orientiert sich anhand konkreter Beispiele an der in Kapitel 1.2 aufgezeigten Struktur eines Servitization-Prozesses und zeigt notwendige Veränderungen, um die jeweils nächste Phase zu erreichen.
6.1 Phase 1: Produkt-Hersteller
Das Engagement und der Wille, einem Freund zu helfen, für ihn eine Lösung zu finden, um Prozesse besser, leichter ablaufen zu lassen: Diese Gründerphilosophie, wird im Unternehmen Heidolph Instruments auch heute noch gelebt.
Abb. 29: Heidolph-Website mit Leistungsversprechen und Hinweis auf Partner
Abb. 30: Heidolph-Leistungspakete
Beispiel: Heidolph Instruments GmbH und Co. KG Ein Blick auf die aktuelle Homepage von Heidolph Instruments zeigt die Grundhaltung des Unternehmens. Dort wird eine Leistung herausgestellt, zu der sich das Unternehmen verpflichtet, "Research m...