Zusammenfassung
- Mit der zunehmenden Globalisierung des Einkaufs werden die Lieferketten nicht nur länger, sie werden vor allem wesentlich komplexer. Komplexe Strukturen sind anfälliger gegenüber Störungen jeglicher Art als einfache Abläufe.
- Es ist nicht ausreichend, beim Kauf von Gütern auf globalen Märkten nur die Risiken der Transportwege zu betrachten. Auch das Verhalten der Lieferanten in wirtschaftlich und politisch vollkommen anders als gewohnt orientierten Staaten muss einbezogen werden.
- Vor allem kleine und mittlere Unternehmen haben wenig Einkaufsmacht auf den globalen Märkten. Sie haben auch nicht die finanziellen und organisatorischen Mittel, Vertragsverletzungen von Lieferanten z. B. in China gerichtlich verfolgen zu lassen.
- Was bleibt ist die Notwendigkeit, Lieferstörungen möglichst frühzeitig zu erkennen, um darauf reagieren zu können. Der Beitrag zeigt, wie das Beschaffungscontrolling Kennzeichen möglicher Störungen definieren und in ein eigenes Überwachungssystem einbringen kann.
1 Kennzeichen drohender Störungen
Die große Verletzlichkeit globaler Lieferketten zwingt den Einkäufer dazu, die Situation rund um die Versorgung mit Gütern aus fernen Teile der Welt intensiv zu beobachten. Nur wenn frühzeitig erkannt wird, dass der Lieferfluss gestört sein könnte, kann ebenso frühzeitig reagiert werden. Wer dies schneller tut als seine Mitbewerber, der hat auf dem Markt bessere Chancen. Die Kennzeichen einer drohenden Störung müssen also für jede Lieferkette individuell bekannt sein, um mit Controllinginstrumenten eine wirksame Überwachung aufbauen zu können.
Indikator Preise
Wenn sich auf dem globalen Markt Nachfrage oder Angebot verändern, reagiert der Preis. Wird z. B. das Angebot aufgrund von politisch angeordneten Fabrikschließungen verknappt, steigt der Preis. Sinkende Preise deuten auf eine entspannte Marktsituation hin. Der aktuelle Marktpreis für ein Gut zeigt die aktuelle Lage. Diese Information kommt jedoch bereits zu spät. Aussagefähiger sind die Preise, die in Verträgen mit zukünftiger Lieferung verlangt werden. Dort zeichnet sich die Erwartung aller Marktteilnehmer an die kommende Entwicklung ab. Steigen für zukünftige Lieferungen die Preise wesentlich und stärker als üblich an, ist das ein Zeichen für eine erwartete Störung.
Weite Datenbasis
Bei der Preisbeobachtung nur auf eigene Preisverhandlungen zu setzen, ist unzureichend. Die Informationen kommen zu spät und sind bestimmt durch die individuelle Beziehung zwischen Lieferant und Einkäufer. Die Datenbasis muss weiter sein, ein umfassendes Bild des Marktes abgeben, also auch Börsenpreise, Erfahrung von Mitbewerbern und Handelsnotierungen umfassen.
Indikator Verfügbarkeit
In vielen Fällen kommt es bereits lange vor einer allgemeinen Knappheit von Gütern zu Unregelmäßigkeiten in der Verfügbarkeit:
- Abgesprochene Liefermengen werden reduziert,
- die bestellten Mengen werden verspätet geliefert,
- die vereinbarte Qualität wird durch Produkte mit niedrigeren Qualitätseinstufungen nicht erreicht.
Solche Ereignisse deuten auf Mengenprobleme hin. Dabei ist es gleichgültig, ob die Ursachen für die mangelnde Verfügbarkeit in schlechten Ernten, politischen Einflussnahmen auf Produktions- und Liefermengen oder fehlenden Lieferkapazitäten liegen.
Über diese eigenen Erfahrungen des Einkäufers hinaus spielt die Marktbeobachtung eine wichtige Rolle. Ernteberichte lassen Rückschlüsse auf die Verfügbarkeit von natürlichen Rohstoffen oder deren Verarbeitungsprodukte zu. Berichte über Fabrikschließungen, Katastrophen im Liefergebiet oder Veränderung der Ausrichtung von bisherigen Lieferanten führen zu Einschätzungen der Liefersituation.
Die Verfügbarkeit von Gütern ist allerdings nicht nur von der Angebotsseite bestimmt. Veränderungen der Nachfrage haben ebenso einen Einfluss. Gibt es z. B. neue Anwendungsmöglichkeiten für einen Rohstoff, wird sich die Nachfrage vergrößern. Solche Veränderungen gibt es auf allen Ebenen der Lieferketten. Aktuell steigt die Nachfrage nach Halbleitern auf der ganzen Welt, weil die Nachfrage nicht nur nach E-Autos, sondern auch nach vielen anderen elektronischen Geräten gestiegen ist. Solche Entwicklungen fließen in die Beurteilung der Verfügbarkeit ein.
Indikator Umfeld
Die Beobachtung von Preisen und Verfügbarkeiten gehört zum Tagesgeschäft des Einkäufers. Für eine globalisierte Beschaffung müssen diese wesentlich intensiviert und systematisiert werden. Neu dagegen ist, dass sich auch das Umfeld der Lieferbeziehungen negativ auf die Zuverlässigkeit der Belieferung auswirken kann. Dabei spielt die Politik eine wichtige Rolle, denn viele interessante Partner auf den globalisierten Märkten produzieren in Ländern mit "nicht westlichen" Regierungssystemen. Totalitäre Staaten setzen ihre weltpolitischen Strategien gerne auch durch Druck auf die eigene Wirtschaft um. Immer wieder drohen politisch begründete Sanktionen.
Krieg in Europa
Welchen Einfluss die Politik auf Lieferketten hat, zeigt aktuell der Krieg in der Ukraine. Die von der EU und anderen westlic...