Wie sich Unternehmen gegen Klimarisiken absichern
Herr Kühlert, noch vor wenigen Jahren war Klimafolgenanpassung kaum ein Thema in der öffentlichen Debatte. Das hat sich geändert. Haben wir bereits vor dem Klimawandel kapituliert und suchen nur noch zu retten, was zu retten ist?
Nein, überhaupt nicht. Im Sinne des Vorsorgeprinzips sind Klimaschutz und -anpassung schon immer handlungsleitend für die (inter)nationale Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Klimaanpassung kommt mehr in das Bewusstsein der Unternehmen, weil die Folgen des Klimawandels deutlicher werden. Wenn die Betroffenheit näher an die Menschen und Unternehmen rückt, verstehen wir zunehmend, worum es geht. Und das erhöht auch den Druck, sich anzupassen. Unternehmen kapitulieren nicht, es ist die Kernkompetenz des Unternehmertums, gesellschaftliche Problemlagen mit innovativen Geschäftsmodellen zu begegnen und somit neue Märkte zu erschließen. Beispiele wie sinnvoll eingesetztes smart farming zeigen, wie über Ressourceneinsparung (Wasser, Dünger, Pestizide) Klimaschutz und Resilienz gegenüber Extremwettereignissen Hand in Hand gehen können.
Von Risikomanagement und Wettbewerbsfähigkeit: Vorteile der Klimafolgenanpassung
Warum ist Klimafolgenanpassung für Unternehmen wichtig?
Die zunehmenden Extremwetterereignisse werden Auswirkungen auf Unternehmen haben, von einzelnen Unternehmensstandorten bis hin zu ganzen Wertschöpfungsketten. Jetzt gilt es, dem Schadensrisiko vorzubeugen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Wir haben 2018 im Zuge eines Climathons – eines 24-stündigen Ideenmarathons zum Klimawandel – gemeinsam mit Studierenden spontane Interviews mit flutbetroffenen Unternehmer:innen in Wuppertal geführt. Was uns überraschte: Viele von ihnen hatten keine Maßnahmen ergriffen oder geplant, um sich zukünftig gegen solche Ereignisse zu schützen. Im Sinne das klassischen betrieblichen Risikomanagements ist es aus meiner Sicht hingegen unabdingbar, sich als Unternehmen auf die Folgen des Klimawandels einzustellen. Inzwischen bietet die Stadt Wuppertal zahlreiche Angebote an, wie Starkregen- und Hitzebelastungskarten oder Handbücher für das Risikomanagement.
Unternehmen haben zurzeit mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig, neue Anforderungen wie etwa ein Nachhaltigkeitsbericht binden zusätzliche Ressourcen. Und dann sollen sie noch Strategien für Klimafolgenanpassung entwickeln?
Ja, gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist das aktuell sehr viel – wobei sich die Aufgaben teilweise überschneiden und sich Synergien ergeben. So sollten Unternehmen die Berichtspflichten nutzen, um die Analyseergebnisse für die Entwicklung von Produkt- und Geschäftsmodellinnovationen in Wert zu setzen sowie langfristige Pläne und Maßnahmen abzuleiten. Wenn sie sich frühzeitig an die Klimafolgen anpassen, bringt ihnen dies unentbehrliche Sicherheit für die Zukunft und Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Laut Studien und Versicherern zählen zerstörte Gebäude und Infrastrukturen zu den schadenintensivsten Folgen für die Wirtschaft. Dabei sollte man sich die lokalen Gegebenheiten bewusst machen, um sich besonders effektiv an Folgen in der Region anzupassen. Um Berichtspflichten, neue Anforderungen von Geschäftspartnern und Klimaanpassung in Unternehmensstrategien aufzugreifen, sind Daten und (Expert:innen-)Wissen notwendig. Hierfür kann man eine externe Beratung hinzuziehen. Aber warum nicht Kompetenzen im eigenen Unternehmen zu Berichtspflichten und Nachhaltigkeitsmanagement aufbauen? Wir entwickeln und testen zurzeit ein umfassendes Bildungsprogramm für betriebliche Transformationsagent:innen zum Thema Ressourcenschonung und Klimaneutralität. Ich kann Unternehmen nur empfehlen, solche Angebote wahrzunehmen.
Gibt es Synergien zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung?
Ja, etwa indem ich mein Portfolio so entwickle, dass meine Produkte und Dienstleistungen emissionsarm und anpassungsfähig sind. Indem ich mehr Kreislaufwirtschaft verwirkliche, reduziere ich meine Rohstoffabhängigkeiten und schütze gleichzeitig das Klima – vorausgesetzt, dass die Sekundärstoffe tatsächlich weniger CO2-Emissionen aufweisen. Zudem sind naturbasierte Anpassungsmaßnahmen zu empfehlen, die Klimaschutz und Klimaanpassung miteinander verbinden, wie etwa Fassaden- und Geländebegrünungen. Sie kühlen Innen- und Außenräume, spenden Schatten, nehmen Wasser bei Starkregen auf und filtern die Luft. Neben der Erholung tragen sie so auch zur Gesundheit der Mitarbeitenden bei.
Wie Unternehmen mit den Folgen des Klimawandels umgehen
Mit welchen Klimarisiken müssen Firmen rechnen?
An erster Stelle stehen physische Risiken wie Extremwetterereignisse. Laut einer aktuellen Studie zu volkswirtschaftlichen Folgekosten durch den Klimawandel werden Schäden durch Sturzfluten und Überschwemmungen auf mindestens 70 Mrd. Euro für Industrie, Gewerbe und Lieferketten seit 2000 ausgewiesen. Die steigenden Durchschnittstemperaturen haben Auswirkungen auf die Beschäftigten, wie steigende Innenraumtemperaturen oder Belastung durch Sonneneinstrahlung. Zunehmende Auswirkungen des Klimawandels können sich so in Gesundheitskosten und Ausfällen von Arbeitnehmenden niederschlagen. Auch sich häufende Klimaschäden in Zulieferländern können die Versorgung mit Rohstoffen und Zwischenprodukten beeinträchtigen und zu Produktionseinbußen führen. Eine Sturzflut in Italien kann den Transportweg einschränken, sodass es zur Beeinträchtigung in der Lieferkette kommt. Oder durch eine große Dürre außerhalb Europas werden wichtige Rohstoffe für herzustellende Lebensmittelprodukte nicht mehr geliefert, beziehungsweise die Preise steigen stark, wie es aktuell der Fall bei Olivenöl ist.
Sie sprechen über Probleme in der Lieferkette. Die zunehmend fragilen Lieferketten zu managen ist für viele Unternehmen schon jetzt eine enorme Herausforderung.
Ja, das haben wir bereits bei der Corona-Pandemie gesehen. Doch eine reine Rückführung zur Regionalisierung der Lieferketten kann nicht die Lösung sein. Dann würden wir auch Wertschöpfung aus dem globalen Süden nach Deutschland und in die EU abschöpfen und dadurch die globalen Ungleichheiten nur verschärfen. Wenn wir beispielsweise die Textilproduktion aus Bangladesch abziehen, wäre das für dieses Land mit seiner hohen Abhängigkeit von globalen Textilmärkten eine Katastrophe. Deshalb empfehlen wir, Stoffkreisläufe zu regionalisieren, aber das Wissen und die Kompetenzen zu globalisieren.
Wie sieht so etwas aus?
Indem wir beispielsweise Innovationspartnerschaften bilden, die aufzeigen, wie in kooperativen Wertschöpfungsketten die Resilienz der beteiligten Unternehmen gestärkt werden kann. Wie gehe ich mit meinen Lieferant:innen um, wenn diese wegen einer Dürre nicht liefern können? Kündige ich einfach den Vertrag? Wir setzen hier auf starke Partnerschaften: Da geht es dann um Trainings und die gemeinsame Suche etwa nach technischen Lösungen – beispielsweise durch Änderungen im Anbau oder in der Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen.
Dafür muss man die Risiken sehr früh erkennen.
Ja, auch dafür gibt es Lösungen – beispielsweise digitale Frühwarnsysteme oder Satellitendaten, die mir auch Auskunft über die Bodenqualität geben.
Lässt sich der Erfolg von Klimaanpassungsmaßnahmen messen?
Ja, hierfür sollte man kausale Wirkungsketten darstellen, die die Investitionen der Klimaanpassungsmaßnahme den vermiedenen Schadenskosten gegenüberstellen. Versicherungen entwickeln hier gerade mit nachvollziehbarem Eigeninteresse viele neue Angebote. Hier können Unternehmen sicher viel mitlernen.
Kooperation und Gesundheitsprävention: Vorteile erkennen
Regionale Stoffkreisläufe, das klingt nach mehr Partnerschaften auch in der Region.
Ja. Durch Kaskadennutzung kann ich Rohstoffe viel häufiger verwenden. Das setzt aber mehr Austausch unter den Unternehmen voraus. Kooperation zwischen Unternehmen ist auch wichtig für die Vorbereitung auf mögliche Krisenszenarien. Regionen müssen sich die Frage stellen, wie sie in einer Krisensituation die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllen können. Je enger die Kooperationen sind, desto resilienter ist man gegenüber Extremereignissen – weil man sich gegenseitig komplementär ergänzt. Wir müssen für solche Szenarien auch die Produktion neu denken. Autozulieferer:innen beispielsweise, die ähnliche Produkte und damit ähnliche Produktionsprozesse haben, können Kooperationen eingehen, sodass sie im Notfall ihren Standort auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen können, ohne die eigene Produktion aufzugeben.
Sind Unternehmen für so etwas offen?
Unternehmen denken aus meiner Sicht zu häufig in ihren Unternehmensgrenzen, für die die meisten Managementsysteme auch ausgerichtet sind. Aber wenn Unternehmen ihre Klimarisiken systematisch analysieren, sehen sie die Herausforderungen in der gesamten Wertschöpfungskette und werden die Vorteile solcher Kooperationen besser verstehen.
Zu Klimarisiken zählt auch die gesundheitliche Belastung der Beschäftigten. Wie können Firmen hier vorbeugen?
Eine Möglichkeit sind flexiblere Arbeitszeiten bei Hitze. Bei der Maßnahmenentwicklung sollte man Gesundheitsprävention und Klimafolgenanpassung zusammen denken. Wer beispielsweise mit dem Rad statt mit dem Auto zur Arbeit fährt, schützt nicht nur das Klima, sondern stärkt sein Herzkreislaufsystem und wird damit resilienter gegen Hitze. Unternehmen und Regionen sollten Hitzeleitpläne entwickeln und darin klären, welche Angebote und Lösungsmöglichkeiten es für die Mitarbeiter:innen bzw. Menschen in der Region bei Hitze gibt. Dazu gehört auch die Frage, wie möglicherweise Produktionsprozesse angepasst werden müssen. Ganz wichtig ist auch die Sensibilisierung des Managements dafür, dass Mitarbeiter:innen bei Hitze weniger leisten können, sodass solche Maßnahmen auch allein aus betriebswirtschaftlicher Sicht schon sinnvoll sind.
Eine gut verständliche Publikation des Wuppertal-Instituts zur Klimafolgenanpassung finden Sie hier.
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