EUDR in der Praxis: Twin Transformation in der Lieferkette

Die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) fordert Unternehmen, ihre Lieferketten entwaldungsfrei und transparent zu gestalten. Wie ein großes Rohstoffunternehmen dies als Chance für die eigene „Twin Transformation" nutzt, erzählt Dr. Christoph Stallkamp im folgenden Artikel.

Obwohl aktuell noch über eine mögliche Fristverschiebung der neuen EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) diskutiert wird, haben viele Unternehmen bereits mit der Implementierung begonnen, um eine rechtzeitige und effiziente Umsetzung sicherzustellen. Die EUDR stellt Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Lieferketten nicht nur entwaldungsfrei zu gestalten, sondern auch Rohstoffe bis zum Ursprung zurückzuverfolgen. 

Was auf den ersten Blick wie eine zusätzliche regulatorische Auflage wirkt, eröffnet bei näherer Betrachtung jedoch Chancen für eine digitale und nachhaltige Transformation. Im Folgenden liefern wir Einblicke, wie ein führendes Handelsunternehmen im Rohstoffsektor die EUDR als Katalysator für datengetriebene Innovationen nutzt und langfristige Wettbewerbsvorteile erschließt.

Einblick in die Praxis: Zwischen Kunden und Lieferanten

Unser Kunde ist ein global agierendes Handelsunternehmen im Rohstoffsektor, das in einer dezentralen Struktur operiert. Zahlreiche Gruppenfirmen, die jeweils eine gewisse Autonomie genießen, ermöglichen Flexibilität, bringen jedoch auch Herausforderungen in der zentralen Steuerung von Daten und Prozessen. Die dezentrale Struktur erschwert zentrale Initiativen wie die EUDR-Compliance, da einheitliche Standards und Prozesse fehlen.

Gleichzeitig wächst der Druck durch Kunden, die transparente Informationen zur Herkunft und Nachhaltigkeit der Rohstoffe erwarten. Das Unternehmen bewegt sich also in einem Spannungsfeld: Zwischen den Anforderungen seiner Endkunden, die Regelkonformität erwarten, und den Anforderungen der Lieferanten, die oft in Regionen mit eingeschränktem digitalen Zugang arbeiten. Die EUDR dient dabei als Anstoß für tiefgreifende Veränderungen und wird als Ausgangspunkt für eine Twin Transformation genutzt – eine Kombination aus digitaler und nachhaltiger Transformation, um langfristig stabile und nachhaltige Strukturen zu schaffen.

Von der Compliance zur Chance: Das Projektteam und die Rolle der Daten

Um die Anforderungen der EUDR zu erfüllen, hat unser Kunde ein interdisziplinäres Projektteam aufgestellt, das Experten aus Nachhaltigkeit, Compliance, Einkauf, Recht und IT zusammenbringt. Diese breite Aufstellung ermöglicht eine umfassende Umsetzung der komplexen Anforderungen und eine enge Abstimmung mit der IT-Landschaft des Unternehmens. Auch lokale Projektteams in den verschiedenen Gruppenfirmen sind Teil des Ansatzes und sorgen dafür, dass die EUDR-konformen Prozesse und Systeme vor Ort operativ umgesetzt werden.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Stammdatenpflege und der Konsolidierung der Informationen aus zahlreichen ERP-Systemen. Aufgrund der dezentralen Struktur ist ein umfassendes Master Data Management kurzfristig nicht realisierbar, weshalb das Unternehmen einen pragmatischen Ansatz verfolgt: Klare Datenvorgaben, ein schrittweiser Integrationsplan und temporäre Excel-Templates zur Datenkonsolidierung bieten eine flexible und dennoch konsistente Lösung.

Zusätzlich zur Stammdatenpflege erfordert die EUDR auch die lückenlose Dokumentation transaktionaler Daten, etwa die Geolokalisierung der Anbauflächen. Dies ermöglicht die Rückverfolgbarkeit der Rohstoffe bis auf die Ebene einzelner Koordinaten und eröffnet Einblicke, die über die reine Einhaltung der Vorschriften hinausgehen. Um die dafür benötigten Daten effizient zu sammeln, setzt unser Kunde ein eigenes Inhouse-Tool ein. Zugleich werden für die Lieferanten Supplier Days abgehalten. Diese Formate dienen dazu, Daten zu erheben und gleichzeitig über die neuen Anforderungen aufzuklären.

Prozessoptimierung, Risikoanalyse, Nachhaltigkeitsstrategie

Die Auseinandersetzung mit den neuen Anforderungen der EUDR zwingt das Unternehmen dazu, seine bestehenden Geschäftsprozesse kritisch zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Ein zentrales Thema dabei ist die Frage nach Einheitlichkeit: Welche Daten sind bereits vorhanden, welche fehlen, und welche Prozesse müssen standardisiert werden, um den EUDR-Vorgaben gerecht zu werden? In der dezentralen Struktur ist dies eine besondere Herausforderung. Um dennoch eine einheitliche Umsetzung sicherzustellen, entwickelt das Unternehmen Best Practices und Handreichungen, die den Gruppenfirmen als Leitlinien dienen.

Zusätzlich zur Datenbeschaffung verlangt die EUDR einen risikobasierten Ansatz zur Überwachung der Lieferkette. Insbesondere in Regionen mit hoher Entwaldungsgefahr ist eine kontinuierliche Risikoanalyse erforderlich, um potenzielle Gefahren frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen gezielt einzusetzen. Dies stellt hohe Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen Nachhaltigkeits- und Einkaufsabteilungen und macht deutlich, warum das Unternehmen von Anfang an eine breite Aufstellung des Projektteams als notwendig betrachtet. Sollte eine Risikominimierung nicht möglich sein, sieht das Unternehmen sogar eine Anpassung der Einkaufsstrategie vor.

Die Umsetzung der EUDR-Anforderungen ist mit erheblichem Aufwand verbunden. Unser Kunde erkennt jedoch, dass dieser Aufwand in eine umfassendere Nachhaltigkeitsstrategie einzahlt, die langfristig weitere regulatorische Vorgaben wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) abdecken kann. Das einmal implementierte Datenmanagementsystem dient dabei als Basis für zukünftige Regularien und schafft Synergien, die über reine Regelkonformität hinausgehen und nachhaltige Wettbewerbsvorteile ermöglichen.

Wettbewerbsvorteile durch die Twin Transformation

Die umfassende Umsetzung der EUDR bringt unserem Kunden entscheidende Wettbewerbsvorteile. Durch die Rückverfolgbarkeit bis zum Ursprung kann das Unternehmen seine Produkte uneingeschränkt im europäischen Markt platzieren und sich gleichzeitig als transparenter und verlässlicher Partner für Kunden positionieren, die Wert auf nachhaltige Lieferketten legen.

Darüber hinaus eröffnet die EUDR die Möglichkeit, Produktpakete anzubieten, die neben dem Rohstoff selbst auch umfassende Informationen zur nachhaltigen Herkunft enthalten – ein Mehrwert, den Kunden zunehmend honorieren.

Mit der detaillierten Kenntnis der eigenen Lieferkette kann das Unternehmen Risiken frühzeitig erkennen und gezielt steuern, was eine stabilere und anpassungsfähigere Lieferkette schafft. Schließlich vertieft die EUDR den Austausch mit Zulieferern und fördert langfristige Partnerschaften, die auf gemeinsamen Nachhaltigkeitszielen basieren.

Die EUDR als Puzzlestück im großen Ganzen

Für unser Kundenunternehmen ist die EUDR mehr als eine regulatorische Anforderung – sie ist ein Puzzlestück in einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie. Das Unternehmen nutzt die EUDR als Basis, um das Geschäftsmodell zukunftssicher zu gestalten und langfristige Risiken des Klimawandels zu adressieren. Progressive Unternehmen begreifen die EUDR als Chance, die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit aktiv zu gestalten und echten Impact zu erzielen.

Die Implementierung der EUDR zeigt, dass gesetzliche Anforderungen sowohl Herausforderungen als auch Chancen bieten können. Unternehmen, die den Prozess effizient gestalten, positionieren sich als Vorreiter der Nachhaltigkeit und schaffen langfristige Wettbewerbsvorteile. Für unser Kundenunternehmen ist die EUDR ein essenzielles Element einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie – der Grundstein für eine datengetriebene, nachhaltige Zukunft, die sowohl der Umwelt als auch dem Unternehmen zugutekommt.


Schlagworte zum Thema:  Transformation, EU-Verordnung, Unternehmen