Die Sichtbarkeit aller in einem Moment verfügbaren Handlungsoptionen ist ein wichtiges Prinzip für gute Benutzbarkeit. Sie ist entscheidend für eine einfache Erlernbarkeit und eine sich selbst erklärende Anwendung.
Zu hohe Feature-Dichte vermeiden
Das Dilemma kleiner Bildschirme ist, dass nicht alle Optionen auf einmal sichtbar sein können, die in einer Desktop-Anwendung mit ähnlicher Aufgabenstellung gezeigt werden könnten. Zum einen gibt es schlicht nicht genügend Platz, zum anderen verbieten die Erwartung der Nutzer an Leichtigkeit, Klarheit und Einfachheit einer mobilen Anwendung und die Notwendigkeit, für Kontexte mit Ablenkungen und geteilter Aufmerksamkeit gestalten zu müssen, eine zu hohe Feature-Dichte. Das Anfüllen des verfügbaren Platzes bis auf den letzten Pixel sollte aus diesen Gründen vermieden werden. Erfolg versprechend ist die Kombination der folgenden Strategien.
5.7.1 Strategie 1: Reduzierter Funktionsumfang
Unnötige Funktionen entfernen
In vielen Konzepten finden sich Funktionen, die von der Zielgruppe nicht verwendet werden. Manchmal handelt es sich um Features, die nur ein einziger Kunde vor vielen Jahren gewünscht hat. Manchmal finden sich Buttons, die nur existieren, weil das höhere Management die Idee dazu hatte. Hier kann geprüft werden, ob diese Funktionalitäten es wert sind, den Weg in die neue App zu finden.
Aber Vorsicht – manchmal ist es ein schmaler Grat zwischen der minimalistischen, gut benutzbaren App und der völlig nutzlosen. Die Validierung mit Nutzern zeigt, was tatsächlich ausgelassen werden darf.
5.7.2 Strategie 2: Tiefe statt Breite
Funktionsangebot strukturieren
Die Funktionen, die nun tatsächlich in der Mobilanwendung nutzbar sein sollen, sollten nach Wichtigkeit und Nutzungsfrequenz strukturiert werden. Während in Desktop-Anwendungen sehr viele Funktionen mit nur einem Klick erreichbar sind, werden in Anwendungen für Tablets und Smartphones viele Funktionen erst durch Navigation erreicht.
Abb. 6 zeigt einen Beispielbericht aus der Bankenwelt für den Desktop, in dem die zu setzenden Filter und Darstellungsoptionen (z. B. Einzelwerte vs. kumulierte Darstellung oder Kennzeichnung der Herkunftsarten) direkt in der Kopfzeile ausgewählt werden. In der Smartphone-Version (s. Abb. 7, linke Seite) kann zwar an der Darstellung des Filter-Icons erkannt werden, dass Filter gesetzt sind, der Nutzer muss aber in den Filterbereich wechseln (s. Abb. 7, rechte Seite), um zu sehen, welche Filter das sind, und um diese zu ändern.
Diese Reduktion der Handlungsmöglichkeiten pro Schritt schafft Platz auf dem Display und sorgt für eine einfachere Anmutung, bringt aber auch mehr Interaktionsschritte pro Aufgabe mit sich: Während in der Desktop-Variante 21 Funktionen direkt erreichbar sind, sind es auf dem Smartphone nur 7. Um beispielsweise den Filter auf "Hessen" statt auf "Bayern" zu setzen, benötigt der Nutzer 2 Interaktionsschritte auf dem Desktop, aber 5 Interaktionsschritte auf dem Smartphone. Die wichtigsten und häufigsten Aufgaben sollten so direkt wie möglich erreichbar sein.
5.7.3 Strategie 3: Reduktion visueller Hinweise
Nicht jede Funktion braucht einen Button
Nicht jede Funktion braucht eine grafische Repräsentation im Interface. Abb. 8 zeigt einen Überblick über abonnierte Berichtsmappen, der in der Desktop-Version die Interaktionsmöglichkeiten für einzelne Mappen als Buttons anbietet.
Abb. 6: Desktop: Bericht Ertragsentwicklung
Abb. 7: Smartphone: Bericht Ertragsentwicklung (links) und Filteroptionen (rechts)
Abb. 8: Desktop: Abonnierte Mappen
Abb. 9: Smartphone: Abonnierte Mappen (links) und Bearbeitungsoptionen
In der Smartphone-Version (s. Abb. 9, linke Seite) gibt es keinen Platz für eine solche Toolbar. Wie in der Desktop-Variante auch findet der Nutzer diese Interaktionsmöglichkeiten in der Detailansicht der jeweiligen Mappe. Ergänzend wird ein effizientes, aber unsichtbares Interaktionsmuster angeboten: Wischt der Nutzer das Element nach links, so erscheinen die wichtigsten Aktionen (s. Abb. 9, rechte Seite). Das unter iOS bereits gut bekannte Konzept ermöglicht es, die Funktionalität anzubieten, ohne kostbaren Screenspace zu verschenken oder zur visuellen Komplexität beizutragen.
Neue Interaktionsmöglichkeiten müssen gelernt werden
Neue Interaktionsmuster müssen jedoch erst gelernt werden. Das ist besonders schwierig, wenn es nur schwache oder gar keine visuellen Hinweise auf eine Interaktionsmöglichkeit gibt. Deshalb gilt: Bei wichtigen Funktionalitäten sollten alternative Wege angeboten werden (hier im Beispiel wäre das die Bearbeitung in der Einzeldarstellung nach Auswahl einer Berichtsmappe).