Dr. Klaus Kretschik, Dr. Wolfgang Sawazki
Tz. 121
Stand: EL 38 – ET: 6/2019
Vom heutigen Standpunkt aus lässt sich aus der Sicht des Finanzanalysten konstatieren, dass die IFRS im Vergleich zu lokalen Rechnungslegungssystemen – hierzu gehört auch unter Berücksichtigung der Qualitätsverbesserungen durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) bspw. das deutsche HGB – einen wünschenswerten Zugewinn an Transparenz sowie Informationsbreite generieren und für mittelständische, börsennotierte Unternehmen eine Adaption nicht nur gefordert, sondern auch zweckdienlich sein kann. Darüber hinaus ermöglicht die zunehmende Bilanzierung zu Tageswerten eine größere Konvergenz von buchhalterischer und ökonomischer Perspektive. Außerdem lässt sich feststellen, dass – trotz auch IFRS-immanenter Wahlrechte – die grenzübergreifende Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen seit Inkrafttreten der Pflicht für in der EU börsennotierte Unternehmen nach IFRS zu bilanzieren, deutlich besser möglich ist als zu Zeiten, in denen Unternehmen ein und derselben Branche, welche in unterschiedlichen Ländern ansässig waren, nach den jeweiligen landesspezifischen Rechnungslegungsstandards bilanzierten.
Tz. 122
Stand: EL 38 – ET: 6/2019
Leider geht der Spezifizierungsgrad in einigen Bereichen zB Risikoberichterstattung, Pensionsbilanzierung oder Financial Instruments über das Wünschenswerte hinaus. Zudem hat die Berichterstattung ein quantitatives Ausmaß und einen Komplexitätsgrad erreicht, der auch das für Experten verständliche und verarbeitbare Maß bisweilen übersteigt. Die Vorgaben der IFRS hinsichtlich der Tiefe und Breite der zur Verfügung gestellten Informationen können zT als Reflexion des Stakeholder-Ansatzes bzw. zu einseitig interpretierten Aktionärsinteressen gewertet werden. Dies hat jedoch aus dem Blickwinkel eines Aktienanalysten/Anlegers, welcher per definitionem dem Shareholder-Ansatz verpflichtet ist, zur Folge, dass die gegebenen Informationen oftmals an seinen konkreten Bedürfnissen vorbeigehen. So ist es zwar wünschenswert, die Informationstiefe und -breite zu erhöhen. Jedoch erscheinen aus heutiger Sicht beide Parameter relativ zu den Informationsbedürfnissen des Finanzanalysten als zu wenig kanalisiert. Dh., die vom Finanzanalysten durchaus gewünschte Informationsflut tritt leider häufig an den falschen Stellen auf bzw. lässt eine am Grundsatz der Wesentlichkeit orientierte Betrachtungsweise als Auswahlkriterium vermissen. Der kritische Beobachter mag dies als Ausfluss der Tatsache werten, dass die Berufsgruppe der Analysten sich bisher nicht stark genug in den Prozess des Standardsettings eingebracht hat. Unternehmen sollten dies als Kriterium jedoch bei der Konzeption ihres Berichtswesens beachten.
Viele der zur Verfügung gestellten Informationen sind darüber hinaus aus Sicht eines Finanzanalysten für seine Zielsetzung eher immateriell. Dies hat zur Konsequenz, dass seine Aufgabe, Informationen aufzunehmen und für den Kapitalmarkt aufzubereiten, weniger effizient bestritten werden kann als in einem Szenario, in welchem die Informationstiefe und -breite eher mit seinen Bedürfnissen kongruent sind. Eingedenk des hohen Zeitdrucks, unter dem die tägliche Arbeit zu bewältigen ist, fällt hier jegliche Effizienzminderung überproportional ins Gewicht.
Obgleich die Informationsbreite und -tiefe an vielen Stellen kontinuierlich gestiegen ist, fehlen immer noch Informationen an einigen anderen Stellen, deren Kenntnis jedoch wünschenswert wäre. Dazu gehören einzelne Informationen, die absehbare Zahlungsströme determinieren, oder eine tiefere Betrachtung der Werttreiber eines Unternehmens. Exemplarisch sei hier verwiesen auf die in diesem Kapitel stehende Abhandlung zu Steuern (bspw. fehlende Informationen zur geografischen Aufteilung der Steuerzahlungen oder der Verlustvorträge, vgl. Tz. 52ff.), absehbare Renditeveränderungen im Zuge vorgegebener Marktveränderungen, ökonomisch orientierte Abschreibungsdauern oder notwendige zukünftige Investitionserfordernisse. Die formulierte Zielsetzung des "Better Communication"-Projektes des IASB (vgl. Tz. 18a), durch verschiedene Teilprojekte eine effizientere Informationsermittlung an den Adressatenkreis zu erreichen, ist aus Analystenperspektive als eine positive Intention zu werten. Inwiefern die einzelnen Initiativen das Reporting und somit auch die Arbeit der Finanzanalysten nachhaltig beeinflussen werden, bleibt indes abzuwarten.
Tz. 123
Stand: EL 38 – ET: 6/2019
Zwar ist die zunehmende Anwendung der Marktwertbilanzierung bei Finanzdienstleistern sowie von handelbaren Aktiva des Umlaufvermögens generell als Informationszugewinn zu begrüßen. Bei der Bewertung der Cashflow-tragenden Güter des Anlagevermögens geht sie an den Bedürfnissen der meisten externen Eigner sowie der Analysten jedoch vorbei und erhöht zudem unnötigerweise die Ergebnisvolatilität. Wünschenswert wäre eine strikte Trennung von realisierten Ergebnissen einerseits und rein auf Fair-Value-Änderungen basierten Ergebnissen innerhalb der GuV andererseits. Ein ebenfall...