Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 234
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der neue Standard IFRS 17 für Versicherungsverträge löst nach insgesamt über 20 Jahren andauernder, intensiver Diskussionen den seit 2004 gültigen Interimsstandard IFRS 4 ab und regelt die Ansatz-, Bewertungs- und Ausweisvorschriften für Versicherungs- und Rückversicherungsverträge grundlegend neu. Mit der Erstanwendung am 1. Januar 2023 hat sich die Finanzberichterstattung kapitalmarktorientierter Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen fundamental verändert.
Tz. 235
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der IASB hatte die Entwicklung des IFRS 17 auf eine deutliche Verbesserung hinsichtlich der Transparenz, Vergleichbarkeit und Relevanz der Finanzberichterstattung ausgerichtet. Ob und inwieweit diese Ziele erreicht werden können, kann erst nach einigen Jahren der Anwendung und Etablierung des IFRS 17 in der Finanzberichterstattung der Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen beantwortet werden.
Tz. 236
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Es kann allerdings schon heute festgehalten werden:
Durch die grundlegend veränderte Abbildung von Versicherungs- und Rückversicherungsverträgen in der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung, die durch sehr umfangreiche und detaillierte Informationen im Anhang ergänzt werden, wird ein umfassender und deutlich näher an der ökonomischen Realität ausgerichteter Einblick in die Performancetreiber der Unternehmen ermöglicht. Die Berichterstattung erlaubt tiefe Einblicke in das Geschäftsmodell, die aktuelle und künftige Ertragskraft des gezeichneten Geschäfts sowie die Risikotragfähigkeit.
Tz. 237
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Das neue Bewertungsmodell verlangt aktuelle und marktkonsistente Schätzungen, wodurch zwar die Komplexität deutlich zunimmt, aber auch eine nähere Bewertung des Geschäfts entlang der ökonomischen Profittreiber ermöglicht wird. Durch die transparente Darstellung der vertraglichen Servicemarge von der Erstbewertung über die Folgebewertung der gesamten Vertragslaufzeit erfährt die bisher als intransparent und statisch empfundene Berichterstattung eine signifikante Aufwertung durch prospektive und damit deutlich dynamischere Elemente der Bilanzierung.
Tz. 238
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Durch die Einführung einer Zeitwertbilanzierung über die Diskontierung des Versicherungsgeschäfts im Sinne einer barwertigen Betrachtung wurde nicht nur eine ökonomisch sinnvollere Betrachtung eingeführt, die sich auch in der Prämienkalkulation der Unternehmen wiederfindet, sondern auch ein fundamentaler Accounting Mismatch zu den zum Zeitwert bilanzierten Kapitalanlagen weitgehend beseitigt. Die mit der Einführung befürchtete deutlich höhere Volatilität der Finanzkennzahlen kann daher zumindest für das bilanzielle Eigenkapital nicht bestätigt werden. Gerade in einem dynamischen Zinsumfeld wirkt die barwertige Betrachtung bei effektivem Asset Liability Management deutlich stabilisierend auf den Eigenkapitalausweis nach IFRS. Auch die dadurch entstehende vermeintlich höhere Volatilität der Ergebnisse scheint nach den ersten Erfahrungen in der Berichterstattung beherrschbar.
Tz. 239
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Abbildung der Umsatzerlöse (revenues) folgt nunmehr konsequenterweise dem Konzept der Leistungserbringung in anderen IFRS-Standards. Hierdurch vermeintlich verlorengegangene Informationen zum Wachstum bzw. Vertriebserfolg sollten sich durch ergänzende Angaben kompensieren lassen.
Tz. 240
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Fülle und der Detailgrad der neuen Anhangangaben ist zwar dem vorgenannten Grundgedanken nach mehr Relevanz und Transparenz geschuldet und ermöglicht einen deutlich tieferen Einblick in das Geschäftsmodell und die Ertragskraft des Geschäfts. Allerdings muss sich zeigen, ob diese wahre Flut an Informationen den Berichtsadressaten mehr hilft als überfordert. Hier scheint die richtige Balance zwischen Transparenz und Fokussierung auf das Wesentliche, auch um das komplexe Geschäftsmodell der Versicherer nicht durch die Finanzberichterstattung noch weiter zu verkomplizieren, noch nicht gefunden.
Tz. 241
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Während der neue Standard dennoch ohne Zweifel deutlich mehr Transparenz bietet, scheint das Erreichen des Ziels der besseren Vergleichbarkeit noch fraglich. Dass der IASB in IFRS 17 häufig auf präzise Methodenvorgaben verzichtet, und stattdessen versucht hat, dies durch umfängliche Angabepflichten zu kompensieren, entspricht zwar dem prinzipienbasierten Regelungsansatz des IASB, bringt aber erhebliche Hürden in der Analyse mit sich. Die zahlreichen Wahlrechte und teilweise unterschiedlichen Auslegungen erfordern ein detailliertes Verständnis der unterschiedlichen Anwendung nebst Auslegung der Regelungen, um deren Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einschätzen zu können. Besonders bedauerlich erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass durch den im Jahr 2014 erfolgten Ausstieg des US-amerikanischen Standardsetter FASB aus dem gemeinsamen Projekt, kein deutlicherer Schritt in Richtung Konvergenz zwischen US GAAP un...