Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Isabel von Keitz
Tz. 161
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Unternehmen gehen mittlerweile zunehmend dazu über, bestimmte Softwareprodukte und IT-Infrastrukturen in die Cloud zu verlagern. Ein unternehmensexterner Anbieter stellt die in seinem Eigentum befindliche Software bzw. IT-Infrastruktur dabei einem oder mehreren Nutzern über die Cloud zur Verfügung. Die Nutzer können während eines vereinbarten Nutzungszeitraums jederzeit über das Internet auf die Anwendungen zugreifen und zahlen für die Zugriffs-/Nutzungsrechte eine Gebühr an den Anbieter. Eine Installation auf einem lokalen Rechner des Nutzers ist nicht erforderlich (vgl. ua. Böckem/Geuer, KoR 2019, S. 470). Abhängig davon, welche Dienste dem Nutzer zur Verfügung gestellt werden, lassen sich im Wesentlichen drei (Dienstleistungs-)Kategorien von Cloud-Computing-Vereinbarungen unterscheiden: Infrastructure as a Service (IaaS), Platform as a Service (PaaS) und Software as a Service (SaaS) (vgl. hierzu ausführlich Roos, PiR 2019, S. 96). Zudem gibt es verschiedene Bereitstellungsmodelle: public cloud, private cloud oder hybrid cloud (vgl. Berger/Fischer, BB 2018, S. 2288).
In der Praxis sind vor allem SaaS-Vereinbarungen von besonderer Bedeutung (vgl. Berger/Fischer, BB 2018, S. 2289), die und deren Bilanzierung vor diesem Hintergrund differenzierter betrachtet werden (zur Übertragung auf die anderen Kategorien des Cloud Computing vgl. Fink, PiR 2019, S. 197). Bei SaaS-Vereinbarungen stellt ein Anbieter auf seiner eigenen Infrastruktur dem Nutzer Standardsoftware idR in einer öffentlichen Cloud bereit, zB Software zum Kontaktdatenmanagement. Der Nutzer kann auf diese (Software-)Anwendungen regelmäßig direkt über einen Internetbrowser oÄ zugreifen. Der Anbieter von SaaS-Produkten führt eigenständig Wartungsarbeiten an den Produkten durch, zB Softwareupdates. Gleichwohl haben die Nutzer regelmäßig die Möglichkeit, eigenständig Anpassungen und bzw. oder Erweiterungen an der bereitgestellten Software durchzuführen (vgl. Berger/Fischer, BB 2018, S. 2289). Fraglich ist, wie die Nutzer die mit der Cloud-Lösung verbundenen Kosten bzw. Aufwendungen nach IFRS zu bilanzieren haben (vgl. zur handelsrechtlichen Bilanzierung Deubert/Lewe, BB 2019, S. 811–815; Gerlach/Oser, DB 2019, S. 1969–1971; Böckem/Geuer, KoR 2019, S. 474f.). Kosten können hierbei zum einen für die Nutzung der über die Cloud zur Verfügung gestellten Softwareanwendung an sich entstehen (vgl. Tz. 162) und zum anderen mit dem Customizing (für Implementierungen und/oder Modifikationen) der Softwareanwendung verbunden sein (vgl. Tz. 163).
Tz. 162
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Zunächst ist die Frage zu klären, ob aus der SaaS-Vereinbarung ein immaterieller Vermögenswert iSd. IAS 38 resultiert. Unkritisch sind diesbezüglich bei SaaS-Vereinbarungen die Voraussetzungen, dass Vermögenswerte im Anwendungsbereich des IAS 38 nicht monetär und nicht physisch sein dürfen (hierzu vgl. Tz. 19f.). Auch das Kriterium der Identifizierbarkeit kann angesichts der vertraglichen Vereinbarung mit dem Anbieter grundsätzlich als erfüllt angesehen werden (vgl. Berger/Fischer, BB 2018, S. 2289; Roos, PiR 2019, S. 98).
Kontrolle (als weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines immateriellen Vermögenswertes) über einen immateriellen Vermögenswert besteht, wenn das berichterstattende Unternehmen in der Lage ist, den künftigen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vermögenswert zu erhalten und den Zugriff Dritter auf diesen Nutzen zu beschränken (IAS 38.13). Sofern eine Installation der betrachteten Software über eine private Cloud erfolgt und die Cloud vom berichterstattenden Unternehmen oder im Auftrag des berichterstattenden Unternehmens von einer anderen Partei betrieben wird, ist es möglich, dass Kontrolle nachgewiesen und die definitorischen Voraussetzungen für einen immateriellen Vermögenswert iSd. IAS 38.8 erfüllt sind (vgl. Berger/Fischer, BB 2018, S. 2290; Roos, PiR 2019, S. 99; Fink, PiR 2019, S. 190). Regelmäßig ist es jedoch der Fall, dass der Nutzer allein den Zugang zu der vom Cloud-Anbieter bereitgestellten Softwareanwendung erhält. Gerade für SaaS-Vereinbarungen, die auf einer öffentlichen Cloud basieren, führt dies dazu, dass der Ausschluss von Dritten sachverhaltsbedingt nicht möglich ist und insofern keine Kontrolle über die originäre Software vorliegt (vgl. IFRIC Update March 2019, S. 12). Unter diesen Umständen sind daher die definitorischen Voraussetzungen für das Vorliegen eines immateriellen Vermögenswertes iSd. IAS 38 nicht erfüllt. Eine Bilanzierung nach IFRS 16 scheidet ebenfalls für SaaS-Vereinbarungen über public clouds aus, da die für das Vorliegen eines Software-Leasingvertrags erforderlichen Kriterien des IFRS 16.9 nicht erfüllt sind (vgl. IFRIC Update March 2019, S. 12). Diese Vereinbarungen sind vielmehr als Dauerschuldverhältnisse (executory contracts) zu charakterisieren. Die Gebühren für die Nutzung der vom Anbieter bereitgestellten Softwareanwendungen sind in dem Fall über die Vertragslaufzeit zu periodisieren und GuV-wirksam als...